Universitätsmamselle Dorothea von Rodde-Schlözer kommt nach Nürnberg

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Die gut lebensgroße, rückseitig 1806 datierte und von Alexis Poitevin signierte Terrakottabüste zeigt die Tochter des Göttinger Historikers und Staatswissenschaftlers August Ludwig Schlözer (1735 –1809), die 1787 17-jährig in ihrer Heimatstadt promovierte. Sie ist die erste deutsche Frau, die den Doktortitel einer Philosophischen Fakultät erwarb und nach der Ärztin Dorothea Christiane Erxleben (1715–1762) die zweite promovierte Frau Deutschlands. Schlözer gehörte in Göttingen zu den als »Universitätsmamsellen« bezeichneten, literarisch tätigen Professorentöchtern und pflegte intensive Kontakte zum Dichterkreis des Eutiner Hofs, dem »Weimar des Nordens«. 1792 ehelichte sie den Lübecker Patrizier Mattheus Rodde (1754–1825), der 1806 zum außerordentlichen Bürgermeister der Hansestadt gewählt wurde. In der »Franzosenzeit« von 1806 bis 1813 reiste er in seiner Funktion wiederholt nach Paris, wo seine Gattin mehrfach porträtiert wurde. Zu diesen Bildnissen gehört eine 1806 von Jean-Antoine Houdon (1741– 1828) gefertigte Marmorbüste, heute im Berliner Bode- Museum, sowie das Bildwerk des Houdon-Schülers Poitevin.

Poitevin, einer der namhaften Pariser Klassizisten, erwarb seinen Ruhm vor allem mit lebensgroßer Sakral- und Denkmalsplastik sowie mit Brustbildern von Gelehrten. Seine Schlözer- Büste erhellt die Porträtkultur um 1800 in ihren mitteleuropäischen Verflechtungen. Sie weist auf Tragweite und Gewicht des plastischen Bildnisses innerhalb der intellektuellen und künstlerischen Zirkel der französischen Hauptstadt, in die damals zahlreiche Deutsche integriert waren. Neben der Reihe bekannter Aufträge deutscher Adliger an Houdon eröffnet sie prinzipielle Überlegungen zu unmittelbaren Beziehungen zwischen deutschen Eliten und französischer Porträtkunst jener Zeit. Insofern ist sie ein Schlüsselobjekt, das die Möglichkeit zu einer differenzierten, über das »Paradebeispiel Houdon« hinausführenden Untersuchung der an französischen Vorbildern orientierten Rollenmodellierung im plastischen Porträt eröffnet. An einem prominenten Beispiel richtet sie den Blick auf den künstlerischen Diskurs um die Darstellung der gebildeten Frau um 1800 und die in der aktuellen kunstgeschichtlichen Forschung ventilierten »Bildnisstrategien«.

Dr. Frank Matthias Kammel

Abbildung: Alexis Poitevin, Büste der Dorothea von Rodde-Schlözer, 1806,Terrakotta, H. 63 cm