Silberbecher mit äußerst seltener Gravur von Stadtansichten Augsburgs, 1709/1712

Kunstsammlung und Museen der Stadt Augsburg, Maximilianmuseum

Auf einem gewölbten Fuß mit Pfeifendekor erhebt sich mit leichtem Schwung der konisch geformte, vollständig gravierte Becher mit vergoldetem Rand und verstärkter Lippe. Eine absolute Rarität sind die beiden gravierten Stadtansichten von Augsburg: Die Vorderseite zeigt in einem Ovalmedaillon den Weinmarkt, die heutige Maximilianstraße, mit dem berühmten Herkulesbrunnen des Adriaen de Vries und Elias Holls Siegelhaus (es wurde 1809 abgerissen). Die Rückseite zeigt das bis heute bestehende Hollsche Zeughaus mit Hans Reichles Bronzegruppe des Erzengels Michael. Die Flächen zwischen den Medaillons sind mit graviertem Akanthuswerk verziert. Rechts unten befindet sich das Wappen der Augsburger Patrizierfamilie von Schnurbein. Der Becher trägt auf der Unterseite die Marke des Augsburger Goldschmieds Johann Sigmund Abrell und das städtische Beschauzeichen, das den vorgeschriebenen Silberfeingehalt garantiert und in die Jahre 1709–1712 datiert werden kann. Mit den Ansichten von Siegelhaus und Zeughaus sind zwei Bauten dargestellt, die für die Reichsstadt Augsburg und ihre Bürger von zentraler Bedeutung waren. Das Siegelhaus war das Zollgebäude, in dem u. a. die eingeführten Weinfässer gesiegelt und das sogenannte Ungeld als eine der wichtigsten Steuern erhoben wurde. Das Zeughaus verwahrte das Waffenarsenal der Reichsstadt, die eigene Wehrhoheit hatte und deren Bürger zum Militärdienst verpflichtet waren. Die Gebäude sind somit Sinnbilder Augsburgs als Handels- und Reichsstadt. Die Augsburger Patrizierfamilie von Schnurbein, in deren Besitz sich laut Wappen der Silberbecher ursprünglich befand, stammte aus Südtirol. Der Kaufmann Balthasar I Schnurbein ließ sich um 1600 in der Reichsstadt nieder. Durch Heiraten mit den Familien von Stetten und Amman stiegen die Schnurbeins in die Augsburger Oberschicht auf und wurden schließlich 1706 ins Patriziat aufgenommen. Vermutlich entstand der außergewöhnliche Becher für Balthasar III von Schnurbein (1645–1711) anlässlich seines 65. Geburtstags im Jahr 1710 – vielleicht im Auftrag der Stadt. Die Wahl der Ansichten vom Siegelhaus und vom Zeughaus, die auf Stiche des Augsburger Kupferstechers Simon Grimm zurückgehen, dürfte in seiner Biographie begründet sein. Balthasar III von Schnurbein war nicht nur ein sehr erfolgreicher Kaufmann, sondern nachweislich auch ein engagierter, pflichtbewusster Bürger seiner Vaterstadt.

Dr. Christoph Emmendörffer

 

Abbildung:

Johann Siegmund Abrell, Silberbecher mit Ansichten Augsburgs, 1709/1712, Silber, getrieben, gestochen, graviert, teilvergoldet; H. 16,1 cm © Kunstsammlung und Museen der Stadt Augsburg, Maximilianmuseum