Restaurierung des Hochaltarretabel aus dem Zisterzienserinnenkloster Lichtenstern
Landesmuseum Württemberg
Auf dem linken Standflügel des Altaraufsatzes aus dem Zisterzienserinnenkloster Lichtenstern, kniet eine kleine weibliche Gestalt: Äbtissin Margarete von Stein (im Amt 1444 – 1469). Was könnte sie nicht alles über das von ihr gestiftete monumentale Altarretabel und über ihre wechselvollen Erlebnisse während der rund 550 Jahre auf ihrem Beobachterposten erzählen? Stolz würde sie von der um 1465 erfolgten Beauftragung einer potenten Werkstatt in Württembergisch-Franken berichten und ihre Überlegungen zur Gestaltung des Flügelretabels mit der prächtigen Marienkrönung im Zentrum skizzieren. Im 16. Jahrhundert musste die kleine Figur plündernde Bauern und im Zuge der Reformation die Auflösung des Klosters miterleben. Margarete von Steins mit der Altarstiftung verbundene Hoffnung auf ewiges Gebetsgedenken war damit Geschichte. Ihre gemalte Stellvertreterin konnte im mittleren 19. Jahrhundert zumindest dahingehend aufatmen, dass das Altarretabel neue Wertschätzung als Kunstwerk erfuhr und 1863 für die Stuttgarter Altertümersammlung erworben wurde.
Doch schweigt Margarete von Stein…, und so liegt es an Restaurator*innen und Kunsthistoriker*innen, durch technologische und kunsthistorische Analysen so viele Details wie möglich rund um Entstehung und Geschichte des Altarretabels zu lüften. Grundlegend ist dabei die detaillierte Kenntnis des Objektes, seines Erhaltungszustandes und seiner Besonderheiten. Vor der eigentlichen Restaurierung des Hochaltarretabels begab sich das Restauratoren*innen-Team daher auf Spurensuche. Steht tatsächlich ein vollständiges, in Holz und Fassung original erhaltenes Retabel vor uns? Welche Bereiche sind dem Erstbestand zuzuordnen, welche nicht, wo wurde die Vergoldung und Farbfassung verändert und warum? Mit Hilfe von Infrarot-Reflektographie, Röntgen- und UV-Fluoreszenz-Untersuchung, der Mikroskopie und gutem Direktlicht sowie der Sichtung diverser Archivalien wurde nach und nach klar, dass das Retabel eine vielseitige Restaurierungs- und Aufbewahrungsgeschichte aufweist. Dabei blieb der erforderliche Respekt vor dem Werk nicht immer gewahrt. So fehlen das Gesprenge (Zieraufsatz auf dem Schrein) und die originalen Krönungsengel. An den Standflügeln wurden 1915 die kunstvoll geschweift gemalten, allerdings bereits im 18. Jh. nicht mehr intakten Spruchbänder beider Kirchenväter vollends entfernt. Die Schreinrückseite und die Außenseiten der Dreh- und Standflügel büßten durch Feuchtigkeitsschwankungen mehr als die Hälfte der ursprünglichen Bemalung ein.
Eine spannende Entdeckung stand dem Team bei der Predella, dem Kasten unterhalb des Schreines, bevor: Im Inneren ließen sich durch vorhandene Öffnungen zwei mittelalterliche, mit der Legende der Hl. Ursula bemalte Tafeln erkennen. Nach längerer Sucharbeit konnten diese bei einer zurückliegenden „Restaurierung“ fest fixierten, nicht mehr als Drehflügel erkennbaren Türen wieder geöffnet werden. Damit war auch der im Predellakasten auf halber Höhe eingesetzte Zwischenboden erklärt: Hier konnten Reliquien und wertvolle Messgefäße von der Predellarückseite her deponiert und zu liturgischen Zeremonien bei geöffneten Schautüren präsentiert werden.
Parallel zur kunsttechnologischen Erforschung, die auch Pigmentanalyse, Holzartenbestimmung und Dendrochronologie umfasste, wurde ein detailliertes Restaurierungskonzept erstellt. Nach dreijähriger Restaurierung mit Sicherung der Malschichten, Abnahme von gegilbten Überzügen, Verschmutzung und zahlreichen Übermalungen, umfangreicher Kittung und Retusche wird ab Mitte 2021 das interessante Zeugnis klösterlicher Frömmigkeit und des Wirkens von Margarete von Stein in der Schausammlung des Landesmuseums Württemberg zu sehen sein. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung, freut sich, „dass damit ein zentrales Werk der überregional bedeutenden Mittelaltersammlung des Landesmuseums Württemberg nach vielen Jahren wieder den Besucher*innen präsentiert werden kann und zudem wichtige Erkenntnisse zur ursprünglichen Gestalt und Nutzung des Retabels gewonnen wurden“.
Elisabeth Krebs ist Restauratorin für Skulpturen und Gemälde am Landesmuseum Württemberg, Ingrid-Sibylle Hoffmann Sammlungsleiterin für Kunst und Kunsthandwerk des Mittelalters.
Ingrid-Sibylle Hoffmann und Elisabeth Krebs
Abbildungen:
1 Altaraufsatz während der Restaurierung: Zu sehen sind Schrein, linker Standflügel und rechter Drehflügel, während der linke Drehflügel und die Predellaflügel temporär entfernt wurden
2 Restaurierte Schreingruppe aus der mutmaßlichen Betrachterperspektive gesehen
© Landesmuseum Württemberg; Fotos: Yamaly Bayer-Gomez
3 Lichtensterner Altaraufsatz mit geöffneten Drehflügeln
4 Lichtensterner Altaraufsatz mit geschlossenen Drehflügeln
5 Rückseite des Lichtensterner Altaraufsatzes
© Landesmuseum Württemberg; Fotos: Hendrik Zwietasch