Pferdeszene (H. Daumier)

Museum der bildenden Künste, Leipzig

Im Bewusstsein der Zeitgenossen war Honoré Daumier der Karikaturist, war er der Zeichner des Pariser politischen Witzblatts La Charivari. Daran vermochte auch die 1878 in der Pariser Galerie Durand-Ruel organisierte Ausstellung nichts zu ändern, in der neben dem Zeichner und Graphiker zugleich der Maler Daumier vorgestellt wurde. In dem seinerzeit von Jules Champfleury verfassten Oeuvrekatalog ist die „Pferdeszene“ nicht nachweisbar, ebenso wenig in der späteren Literatur. Erst 1917 nahm Gabriele Mandel die „Pferdeszene“ in das Werkverzeichnis des Künstlers auf, allerdings ohne verbindliche Datierung.

Daumier hat neben dem täglichen ‚Broterwerb‘ mit Arbeiten in den graphischen Techniken wohl stets auch gemalt. In die Zeit um 1830 lassen sich die beiden frühesten Bilder datieren; im Salon der Independent ist der Maler seit 1848 immer wieder mit Arbeiten vertreten, zwischen 1850 und 1860 liegen die für seine Malerei produktivsten Jahre. Möglicherweise steht die „Pferdeszene“ in Zusammenhang mit Szenen von Badenden, die Daumier zuweilen auf der Insel Sant-Louis malte. Am Quai d’Orleans, der Uferböschung gegenüber Notre Dame, fand er seine Motive, wie zum Beispiel einen jungen Reiter, der seinen scheuenden Schimmel zur Schwemme führt. Vielleicht entstand das Gemälde aber auch in Valmondois, wo Daumier mit Jean Francois Millet (1814-1875) in jenen Jahren die Landschaft zu durchstreifen pflegte.

Die kleine „Pferdeszene“ trägt skizzenhaften Charakter. Dünn ist der Farbauftrag, flüssig und leicht die Pinselführung. Dieser Eindruck wird durch die nachträgliche Korrekturen noch verstärkt: So wurde der aus dem Hintergrund herauskommende Reiter, den Proportionen des Vordergrundes angemessen, verkleinert. Und von den beiden zunächst als schwere Masse gemalten Pferde mit den in einen Trog gesenkten Köpfen wendet nun eines den Kopf gegen den Ankommenden. Mit sicherem Gespür für Bewegungen im Bild schließt der Maler auf diese Weise seine Erzählung. Die warmen Brauntöne erhalten nur sehr sparsame Akzente durch das Rot des Halfters am Fenster rechts und die in zart Blau-Grün wechselnde Ferne des Hintergrundes. Die nahezu monochrome Farbigkeit lebt zuerst vom Gegensatz des Hell-Dunkel. Einem Schattenbilde gleich steht der Vordergrund gegen das Licht, er macht mit seinen Dunkelheiten die gleißende Sonne des Tages fühlbar.

Inge Stuhr

Abbildung:  © Museum der bildenden Künste Leipzig

Honoré Daumier (1808-1879)
Pferdeszene, 1850/60
Öl / Leinwand
Museum der bildenden Künste Leipzig