Meister der Jannieke Bollengier, Stundenbuch 1500

Museum Schnütgen, Köln

Mittelalterliche Manuskripte sind nicht der eigentliche Sammelschwerpunkt des Museum Schnütgen; dennoch verfügt die Sammlung, zum Teil in Verbindung mit kostbaren Buchdeckeln, über bedeutende Exemplare der wichtigsten liturgischen Bücher vom karolingischen Evangeliar aus der frankosächsischen Schule bis zu einem monumentalen zweibändigen Antiphonar, das am Anfang des 16. Jahrhundert von Anna Hachenberg für St. Cäcilien geschrieben und gemalt wurde. Was bisher fehlte, war ein so genanntes Stundenbuch, das für Laien die Folge der klösterlichen Tag- und Nachtgebete zugänglich macht.

Das erworbene Brügge/Genter Stundenbuch aus der Zeit um 1500 erlaubt einen reizvollen Einblick in die kunstreich geformte Welt der privaten Andacht am Ende des Mittelalters. Das nur 14 cm x 9.8 cm große Buch mit 197 feinsten Pergamentseiten beginnt mit einem üppig ausgestatteten Kalender, in dem sich auf Doppelseiten je ein Medaillon mit den Monatsarbeiten und das zugehörige Tierkreiszeichen gegenüberstehen. Die folgenden Gebete, die Marienmesse und das Marienoffizium, das den Hauptteil der Handschrift ausmacht, sind mit ganzseitigen Miniaturen geschmückt, dem Antlitz Christi, der Kreuzigung, dem Pfingstwunder und einer ganzen Folge von Bildern von der Verkündigung bis zur Flucht nach Ägypten. Die Bußpsalmen werden vom Bild des Psalmendichters David eröffnet, das Totenoffizium mit der Auferweckung des Lazarus. Die Fürbittgebete (Suffragien) zu den Heiligen werden von großen Initialen eingeleitet, in die das durch Attribute klar erkennbare Bild des oder der jeweiligen Heiligen und ein Allerheiligenbild eingesetzt sind. Auf einem leeren Blatt am Ende des Buches belegt eine offensichtlich später entstandene Ornamentseite den langen Gebrauch des kostbaren Andachtsbuches.

Viele der verwendeten Motive kommen aus dem großen gemeinsamen Motiv- und Formenschatz der Werkstätten in Brügge und Gent, dem auch unser Stundenbuch entstammt. Bodo Brinkmann hat dem Maler, dem er alle Miniaturen im Stundenbuch des Museum Schnütgen zuschreibt, einen Notnamen gegeben. Er ergibt sich aus der letzten Seite eines anderen Stundenbuches des gleichen Malers, das im Schatz der Kathedrale von Mons liegt und den Besitzvermerk der Jannieke Bollengier trägt. Für die adlige niederländische Auftraggeberin hat der Meister unseres Stundenbuches mit dem berühmten Meister des Dresdner Gebetbuches zusammen gearbeitet. Der kooperative Einsatz von Spezialisten für bestimmte Bilder in mehreren Handschriften, aber auch die alleinige Verantwortung eines Meisters für ein ganzes Buch, sind typisch für die ausgedehnte Produktion auf höchstem Niveau in den Werkstätten in Brügge und Gent. Der Meister der Jannieke Bollengier steht ebenbürtig neben den Großen seiner Zunft und zeichnet sich durch ein besonders apartes Kolorit aus.

Prof. Dr. Hiltrud Westermann-Angerhausen

Abbildung:

Meister der Jannieke Bollengier, Stundenbuch 1500
© Museum Schnütgen, Köln