Lyonel Feininger , Kirche von Tröbsdorf

Kunstsammlungen zu Weimar

Seit 1916 in Studien und Radierungen vorbereitet, malte 1927 Feininger die nahe Weimar gelegene Dorfkirche von Tröbsdorf. In den ersten Zeichnungen wird die Blockhaftigkeit und lastende Schwere der Kirche mit ihrem Mansarddach und dem Turm von Feininger gezielt herausgestellt. Schwere Gewitterwolken ziehen über die Kirche. Häuser und Telegraphenmasten wirken als Gegengewicht. Im vollendeten Gemälde führt eine durchgehende Linie von den umgebenden Bauernhäusern über das Dach der Kirche zum alles beherrschenden Turm. Die Gewitterwolken der frühen Entwürfe haben sich nun in goldene Strahlen verwandelt, die beziehungsreich vom Turm der Kirche ausgehen. Einziges Gegengewicht zu der dramatisch an den Rand gerückten Komposition bildet ein grünlich-blauer Himmel über den roten Dächern der Häuser.

Tröbsdorf markiert in Feiningers Werk den wichtigen Schritt von den malerisch starren, tektonischen Bildern hin zur offenen Komposition mit prismatischen, reich facettierten Strukturen. Offenbar spürte Feininger, daß er zu neuen Ausdrucksformen gelangte. So schreibt er am 28.9.1927, möglicherweise das Tröbsdorf-Bild betreffend: „Ich habe vor mir (...) ein Bild, das wirklich aus Farbe zu werden verspricht, (...) nach einer Kohlezeichnung aufgebaut - aber nicht danach in Tonwerten nachgeahmt, sondern in Farbflächen, die nichts von Ton-Zeichnung an sich haben. Mir scheint es ein Schritt ab vom bisherigen (...) gestern fing ich an, hinter das Geheimnis zu kommen, (...) dass ich von „Malerei sprechen kann - nicht mühsame Überarbeitung von Flächen bis sie genügend entmaterialisiert sind, sondern (...) Nebeneinander Flächen und Formen als Farbe konzipiert". Vergleicht man die expressive und kubistisch beeinflußte Darstellung von Tröbsdorf mit Feiningers anderen Kirchendarstellungen aus der Weimarer Umgebung, fällt auf, daß die charakteristische architektonische Formensprache der jeweiligen Kirche zur Grundlage des Bildaufbaus erhoben wird. Feiningers Nähe zur Realität, seine Ablehnung der völligen Zerlegung im Sinne des Kubismus spiegelt seine Differenzierung der tatsächlichen Architektur wider, die in der Abstraktion beibehalten wird. Die Darstellungen der mittelalterlichen Kirchen von Mellingen oder von Vollersroda - zwischen 1914 und 1920 entstanden - werden aus kubischen Blöcken und Dreiecken aufgebaut. Die barocke Dorfkirche von Tröbsdorf erhält mit ihren Zwiebeltürmchen entsprechend expressive Formen.

Rolf Bothe

Abbildung: Lyonel Feininger (1871- 1956), Kirche von Tröbsdorf 1927 Öl auf Leinwand; 100,4 x 125,7 cm , © Kunstsammlungen zu Weimar