Konvolut von Hinterglasgemälden aus der Sammlung Gisela und Prof. Wolfgang Steiner, 16.–19. Jahrhundert

Kunstsammlungen und Museen, Augsburg

Die zweite Tranche von Hinterglasgemälden aus der Sammlung des Sammlerehepaars Gisela und Prof. Wolfgang Steiner (München / Mondsee) arrondiert den 2021 erworbenen Bestand bei den Kunstsammlungen und Museen Augsburg, deren Gesamtvolumen damit auf 510 Objekte erweitert worden ist.
Nach dem Erwerb einer ersten Tranche mit herausragenden Hinterglasgemälden konnte nun ein zweites Konvolut aus der bedeutenden Privatsammlung mit einem Erwerberkonsortium unter maßgeblicher Verantwortung der Ernst von Siemens Kunststiftung sowie der Beteiligung der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien, der Stadt Augsburg und eines privaten Geldgebers erworben werden.
Das vorliegende Konvolut umfasst herausragende Werke, die das Spektrum der Hinterglaskunst in der Schweiz, in Tirol und den wichtigsten süddeutschen Produktionszentren auf allerhöchstem Niveau abbilden.

Die vielfigurige Kalvarienbergszene (Abb. 1) ist in Tirol um 1580 entstanden und repräsentiert mit der dicken Glasscheibe das frühe Gussverfahren des Glases. Die Hinterglasbemalung erfolgte mit halb deckenden und deckenden Farben sowie in Eglomisé-Technik, bei der bestimmte Figuren mit Blattgold hinterlegt und mit Binnenkonturen radiert wurden. Die vielfigurige Motivik ist einem Kupferstich von Lucas van Leyden (1494 – 1533) von 1517 entnommen und zeigt die noch kleinteilige spätgotische Erzählfreude.

Das zentrale Stück des neu erworbenen Konvoluts ist Hans Jakob Sprünglis (um 1588 – 1635) Allegorie der Künste (Abb. 2), das erst jüngst in die Sammlung von Prof. Wolfgang Steiner Aufnahme gefunden hatte.
Es waren bisher weltweit nur fünf Tafeln mit Hinterglasbemalung von Sprüngli bekannt: im Kunstgewerbemuseum Berlin (zwei Exemplare) sowie je eines im Schweizerischen Landesmuseum, im Kunstgewerbemuseum Prag und im Museo Civico in Turin.

Hans Jakob Sprüngli wurde um 1559 in Zürich als vierter von fünf Söhnen des Ulrich Sprüngli geboren, einer der Brüder wurde Goldschmied. 1579 trat er in die Zunft der Zimmerleute ein, heiratete und lieferte im selben Jahr sechs Wappenscheiben an die Stadt Zürich. 1595 stiftete er eine Figurenscheibe mit der Darstellung des »Herkules am Scheideweg«, worin er sich als »Amalist« und »Glasmaler« bezeichnet, mit der diejenigen Kunsthandwerker benannt wurden, die eine Malerei praktizierten, »bei der mit dem Stift in vergoldete Gläser gekratzt wird. Es erfordert eine sichere, nicht zitternde Hand«, so schreibt Jacobus Bornitius in seinem Tractatus politicus von 1625.
In den 1590er Jahren sind Sprünglis Kontakte mit der Nürnberger Patrizierfamilie Praun belegt, die in einer Lieferung von insgesamt sechs Bildern für Paulus II. Praun gipfelten. Dafür erhielt er die stattliche Summe von 40 Dukaten. Die Werke wurden im sogenannten »Praun’schen Kabinett« – einer Art patrizischer Kunstkammer – auf bewahrt und präsentiert. Belegt sind eine Diana im Bade und eine Schlafende Venus, beide befinden sich heute im Kunstgewerbemuseum in Berlin. Eine ebenfalls belegte Allegorie der Malerei und Bildhauerkunst gilt bislang als verschollen.

Die vorliegende Allegorie, die die Darstellung zweier antikisch anmutender, nackter Gestalten inmitten einer perspektivischen Architektur zeigt, ist mit den beiden Berliner Tafeln aus dem Praun’schen Kabinett stilistisch eng verwandt und greift zudem auch auf einen ähnlichen Vorlagenschatz zurück. In diesem Falle auf Gotthart Ringglis Allegorie der Kunst aus der Graphischen Sammlung des Kunsthauses Zürich, die aus dem Bestand der berühmten Sammlung des Züricher Malers und Schriftstellers Johann Caspar Füssli (1706 – 1782) stammt.
Sprünglis Hinterglasgemälde folgt der Zeichnung weitgehend, wobei die zentrale Männerfigur weniger kontrapostisch aufgefasst ist, sondern eher starr wirkt, wohingegen das Tuch eine größere Eigendynamik entfaltet. Dieser Gegensatz erinnert an traditionelle Darstellungsmuster spätgotischer Kunst, bei der solche Gewandelemente als Ausdrucksträger fungieren, den Körpern hingegen noch das naturbeobachtende Auge fehlt. Die Venusfigur, die ihr Haupt in den Nacken legt, ist mit einem goldenen Gewand konturiert. Sie hält in der Hand eine weibliche nackte Statuette, die ihre Körperhaltung reflektiert. Neben der Figur befindet sich ein Altar, auf deren Mensa zwei antikische Statuetten stehen, eine nackte herkulische Rückenfigur und eine behelmte Frauenfigur, die an Minerva denken lässt.
Der Männerfigur sind als Attribute eine Armillarsphäre, eine Sonnenuhr, ein Zirkel und eine Laute zugeordnet. Auf dem Postament befinden sich die Schreibutensilien, Feder und Tintenbehältnis. Die Zusammenstellung der Attribute erinnert an das Quadrivium der Sieben freien Künste, der Artes liberales, das hier Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bezeichnet.

Besonders beeindruckend ist die perspektivisch dargestellte Architektur, in der die beiden Bildfiguren eingebettet sind. Es handelt sich um eine Phantasiearchitektur mit einer tonnengewölbten kassettierten, offenen Pfeilerhalle, die ihren Fluchtpunkt oberhalb des Kopfs der weiblichen Allegorie im zentralen Rundbogen der hellen Platzanlage im Hintergrund hat. Sprüngli waren besonders die Materialeigenschaften der dargestellten Architekturteile wichtig. Die Spiegelfelder der quadratischen Pfeiler und Postamente bestehen aus purpurfarbenem Porphyr, die Bodenplatten sind Türkis und Blau gehalten, die Säule am rechten Bildrand in rotgeädertem Marmor. Insgesamt erweckt die Raumkonstruktion den Eindruck eines fiktiven Kirchenraums. Die Allegorie der Skulptur und die der Künste erhalten so eine sakrale Überhöhung, das heißt, Sprüngli schafft eine Neuinterpretation des Themas, in dem er die bekannten antiken Göttergestalten in einen neuen Kontext setzt.

Johann Peter Abesch (1666 – 1731), Vater von Anna Maria Barbara Abesch (1706 – 1773), ist der wohl bedeutendste Schweizer Hinterglasmaler des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Von dem in Sursee ansässigen Maler sind heute gut 85 teils sehr großformatige Werke bekannt. Die Allegorie des Sommers (Abb. 3), deren motivische Vorlage noch nicht identifiziert ist, ist ein Paradebeispiel für Abeschs äußerst qualitätvolles Schaffen, das sich eng an französische und niederländische Barockmalerei anlehnt.
Das 18. Jahrhundert ist durch ein seltenes Werk von Johann Wolfgang Baumgartner (1712 – 1761) vertreten (Abb. 4). Er schuf in einer spezifischen Hinterglasradiertechnik zahlreiche Veduten, die sich durch eine besondere Präzision und Kleinteiligkeit auszeichnen. Die neapolitanische Hafenansicht mit perspektivisch dargestellter Architektur lässt die feinen, dunklen Konturlinien, die in Negativtechnik entstanden, durch einen schwarzen, hinterlegten Karton sichtbar werden. Die in Italien entstandene Allegorie des Wassers (Abb. 5) zeigt die hohe Qualität der norditalienischen Hinterglasmalerei im 18. Jahrhundert, bei der Vorlagen von Charles Dupuis Verwendung fanden. Der auf einem Seeungeheuer reitende Neptun wird von einem Meeresgefolge begleitet, das in seiner Farbigkeit zwischen blauen Wassertönen und roter Lokalfarbe changiert.

Dr. Christof Trepesch

Abbildungen:

Abb. 1
Unbekannter Künstler, Volkreicher Kalvarienberg, Venetien-Tirol, um 1580,
nach einem Kupferstich von Lucas van Leyden (1494 – 1533) von 1517
30,9 cm × 34,3 cm,
Inv. Nr.: HGS 579

Abb. 2
Hans Jakob Sprüngli,
Allegorie der Künste, um 1585,
Glasmaß 25 cm × 20 cm
Inv. Nr.: HGS 836

Abb. 3
Johann Peter Abesch,
Allegorie des Sommers, bez. »V. E. P. 1696«,
57,5 cm × 45 cm
Inv. Nr.: HGS 653

Abb. 4
Johann Wolfgang Baumgartner,
»Lustgäng an dem Pallazz deß Herzogs von Mont Alto zu Napoli«,
nach einem Kupferstich von Melchior Küsel nach einer Entwurfsskizze von Johann Wilhelm Baur,
18 cm × 27,5 cm
Inv. Nr.: HGS 735

Abb. 5
Unbekannter Maler,
Allegorie des Wassers, Piemont, 18. Jh.,
nach einem Kupferstich von Charles Dupuis nach Gemälde von Louis de Boulogne d. J.,
47,5 cm × 61,5 cm
Inv. Nr.: HGS 834