Joseph Beuys, Richtkräfte einer neuen Gesellschaft, 1974

Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof

100 Kreidetafeln voller sozialphilosophischer Visionen und Gedanken, entstanden während eines Publikumsgesprächs mit dem Titel “Art into Society, Society into Art” des Institute of Contemporary Arts in London im Jahr 1974. „Richtkräfte für eine neue Gesellschaft“ ist der Inbegriff des von Joseph Beuys‘ erweiterten Kunstbegriffs und seiner Konzeption der Sozialen Plastik, wonach jeder Mensch, einem künstlerischen Prozess gleichend, seine Ideen in materielle Formen übersetzen solle, um aktiv am Umgestaltungsprozess der Gesellschaft mitzuwirken. Seit Anfang des Jahres arbeiteten wir an der Konservierung des bedeutenden Werks. ‘Richtkräfte‘ wird ab Herbst wieder in der Nationalgalerie am Potsdamer Platz, im Rahmen der 3. Sammlungspräsentation 1968 – 2000, ausgestellt.

Die Konservierung war ein äußerst aufwendiges Projekt, das interdisziplinäre wissenschaftliche Zusammenarbeit forderte. Zur Entwicklung des Konservierungskonzeptes und um den Referenzstatus der Tafeln zu ermitteln, haben wir uns mit einigen Kunsthistorikern und Zeitzeugen ausgetauscht sowie Materialanalysen durchführen lassen. Die besondere Herausforderung bestand nun darin die Verfallserscheinungen von jenen Werkspuren, die Beuys bewusst eingeschrieben hat, zu unterscheiden. Zu letzteren gehören beispielsweise Fuß-, Finger- Besen- oder Schwammabdrücke, die den prozesshaften, interaktiven Entstehungsvorgang der „Richtkräfte“ demonstrieren. Weiterhin erfuhren wir, dass Joseph Beuys während des Enstehungsprozesses die Kreideschrift selbst fixierte. Somit ließ sich die Entstehungsgeschichte der Arbeit vom Performance-Relikt bis hin zur ständigen Installation erstmals chronologisch durchgehend dokumentieren.

Die Erstellung des Konservierungskonzeptes für die Konsolidierung des schwarzen matten Tafellackes mit den darauf liegenden Kreidezeichnungen auf Grundlage einer intensiven Auseinandersetzung zum Restaurierungsethischen Umgang bei Beuys sowie die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen bildeten den Schwerpunkt der konservatorischen Arbeiten. Hierzu gehörten die behutsame Staubabnahme von den Tafeloberflächen, die Verleimung der Kanten, und vor allem die Fixierung der Bildschichtrennungen bzw. Abhebungen.

Die Vermittlung restauratorischer Arbeit im Rahmen einer offenen musealen Interimswerkstatt sowie Vortragsreihen für Besucher wie Fachpublikum bildeten die gelungene Rahmenhandlung des Restaurierungsprojektes.

Dorothee Feldmann M. A.

Abbildung:

Joseph Beuys (1921-1986), Richtkräfte einer neuen Gesellschaft, 1974. Holzpodest mit 100 Schultafeln. 11,86 m x 5,21 m.

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof