Inkunabeln der Bauhaus-Photographie (Sammlung Thomas Walther), 1926/1928

Stiftung Bauhaus Dessau

Im Ergebnis jahrelanger Bemühungen ist es der Stiftung Bauhaus Dessau gelungen, eine auch international hochkarätige Sammlung von originalen Bauhaus-Fotografien zu erwerben. Die Fotografien wurden im Laufe von mehr als zehn Jahren von Thomas Walther, einem in Vaduz ansässigen renommierten Sammler, zusammengetragen. Als Bestandteil eines größeren Konvolutes zur Fotografie der Moderne, von dem vor einigen Jahren ein Großteil an das Museum of Modern Art veräußert wurde, bilden die Bauhaus-Fotografien eine in sich abgeschlossene Gruppe. Die Sammlung vereint 59 Fotografien, darunter Meisterwerke einer neuen fotografischen Ästhetik, die von insgesamt 31 Lehrenden und Studierenden des Bauhauses in den Jahren von 1925 bis 1931 angefertigt wurden.

Aus dem Bestand ragen einige Fotografien auf Grund ihrer besonderen ästhetischen Prägnanz hervor. Dazu gehören auch jene vier Aufnahmen, die von der Ernst von Siemens Stiftung erworben wurden. Die Fotografie Blick vom Berliner Funkturm aus dem Jahre 1928 von László Moholy-Nagy, einem der großen Fotokünstler des 20. Jahrhunderts, gilt als die fotografische Ikone des Bauhausmeisters schelchthin. Von Herbert Bayer, einem kaum weniger bedeutenden Künstler, stammt die heute weltbekannte Aufnahme Blick vom Pont Transbordeur in Marseill, ebenfalls aus dem Jahr 1928, in herausragender Qualität und von besonderer Größe. Merkmal beider Aufnahmen ist eine den Zeitgeist verkörpernde dynamische und unkonventionelle Perspektive und zugleich eine geistige Verdichtung als Bestandteil einer neuen ästhetischen Bildsprache. Construction 1926 ist der Titel jener Fotografie, die Hannes Meyer, der als Bauhaus-Direktor und bedeutender Architekt hervorgetreten ist, im Jahre 1926 als Bestandteil einer Serie von insgesamt fünf Aufnahmen geschaffen hat und die als aufregende Beispiele für die auf weitgehend rationaler Basis entwickelten künstlerischen Experimente des Architekten zu dieser Zeit gelten. Als ein eindrucksvolles Beispiel für die Unbekümmertheit im Umgang mit dem mehr und mehr verfügbar werdenden Medium Fotografie am Bauhaus der 1920er Jahre gilt eine Fotografie von Gertrud Arndt aus dem Jahr 1927, die vier Bauhausweberinnen in einem Bauhausatelier zeigt. Der Eigenwert dieser Art Schnappschuss-Fotografie liegt in einer spezifisch sinnlichen Form der Weltaneignung: das Sehen neu lernen.

Lutz Schöbe

Abbildungen:

1. Herbert Bayer (1900 – 1985), Blick von der Pont Transbordeur, Marseilles, 1928. Vintage Print, Gelatinesilberabzug. 50,5 x 37,2 cm

2. Hannes Meyer (1889 – 1954), Construction 1926, 1926. Vintage Print, Gelatinesilberabzug, montiert auf Karton. 18,0 x 23,5 cm.

3. László Moholy-Nagy (1895 – 1946), László Moholy-Nagy (1895 – 1946), Blick vom Berliner Funkturm, 1928. Gelatinesilberabzug, montiert auf Karton (eines von 10. Exemplaren aus der signierten Edition des Museum of Modern Art von 1941). 24,7 x 18,9 cm. U. r. signiert und datiert mit Bleistift auf dem Untersatzkarton: L. Moholy-Nagy 1928 U. l. bezeichnet in Tusche: to Arnold 45

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