Hermann Glöckner, Rot über Schwarz und Blau

Staatliche Graphische Sammlung, München

Seite A
Auf dem vollflächig aufgesetzten weiß überstrichenen Trägerpapier ist ein kleineres dunkelblaues rechteckiges Papier montiert, auf dem ein hellblaues und ein schwarzes Trapez collagiert sind, zwischen denen ein rotes Quadrat balanciert.

Seite B
Annähernd gleiche Komposition aus weißen Papieren, die um 180 Grad gedreht ist. Glöckner bezeichnet solche Varianten als „Gegenfassung“.

1930 entschied sich Glöckner, etwas Neues zu beginnen, indem er die konstruktiven, geometrischen Grundlagen seiner gegenständlichen Malerei untersuchte, um und ihre elementaren, komplexen Zusammenhänge zu erforschen. Dieser Ansatz führte zu einer umfangreichen, unikalen Werkgruppe, in der Glöckner fortan rein konstruktiv-abstrakt arbeitete. Die Tafel Rot über Schwarz und Blau, um 1932, zählt zu den frühen Hauptwerken aus Hermann Glöckners sogenanntem Tafelwerk.

Innerhalb der Gruppe der frühen Tafeln, die von 1930–1935 entstand, nimmt Rot über Schwarz und Blau mit einigen wenigen weiteren Tafeln aus dieser Zeit eine Sonderstellung ein, da Hermann Glöckner hier explizit eine künstlerische Idee gültig ausformuliert und sie in keiner der nachfolgenden Tafeln mehr aufgreift. Dem gegenüber steht eine größere Gruppe von Tafeln, die andere Themen mehrfach variiert. Rot über Schwarz und Blau zeichnet sich durch eine intensive Durcharbeitung der beidseitigen Motive aus, die einander in wechselseitiger Bezugnahme konzeptuell durchdringen. Damals neu und geradezu spektakulär war, dass Hermann Glöckner seine Tafeln als körperhafte Objekte auffasste, in denen er die Malerei ins Dreidimensionale transformierte. „Vorder“- und „Rückseite“, die heute treffender im Sinne einer Gleichwertigkeit als A- und B-Seite verstanden werden, nehmen von Tafel zu Tafel vielfach aufeinander Bezug, sind zum Teil auch als Gegenentwürfe gedacht und eröffnen als plastisches Objekt eine zusätzliche Dimension. Die Neuerwerbung ist für dieses künstlerische Konzept geradezu paradigmatisch. Noch immer gilt es, das Tafelwerk Hermann Glöckners zu entdecken. Zu seinen Lebzeiten sind nur wenige bedeutende Tafeln durch Vermittlung des Künstlers an wenige deutsche und osteuropäische Museen verkauft worden, so dass die offene Serie bis zu seinem Tod annähernd komplett in seinem Besitz blieb. Erst danach kam das zentrale Corpus ins Dresdener Kabinett, so dass dort heute ein Kernbestand von 49 Tafeln bewahrt wird.

Dr. Michael Hering

Abbildungen:
1+2 Hermann Glöckner (1889-1987)
Doppelseitig gearbeitete Tafel in Papierkollage und Tempera auf Pappe, um 1932
49,8 cm x 35 cm
© Staatliche Graphische Sammlung, München