Gottlieb Schick, Achill empfängt die Boten Agamamnons, frühes 19. Jh.

Staatsgalerie Stuttgart

Ein lang verschollenes Frühwerk Gottlieb Schicks gelangt als Leihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung in die Staatsgalerie Stuttgart

Ähnlich wie heute New York oder Berlin waren im 18. Und frühen 19. Jahrhundert Paris und Rom die beiden zentralen Orte für Kunststudenten, die sich zeitgemäß ausbilden und Chancen auf dem auch damals schon heiß umkämpften Kunstmarkt sichern wollten. In Paris zog besonders das Atelier des führenden Porträt- und Historienmalers der Revolutionszeit, Jacques-Louis David, Studenten aus dem In- und Ausland an. Zu diesen zählte ab 1798 auch der Stuttgarter Gottlieb Schick (1776-1812). Mit seinem Wunsch, seine Ausbildung zunächst in Paris und danach in Rom zu vervollkommnen und in beiden Städten Inspiration und Aufträge zu finden, folgte er dem Vorbild seiner Stuttgarter Lehrer, dem Maler Philipp Friedrich Hetsch und dem Bildhauer Johann Heinrich Dannecker, die beide in Paris und Rom studiert und gearbeitet hatten. 1799 und erneut 1801 bewarb sich Schick um den "Prix de Rome", den die Pariser Académie des Beaux-Arts alljährlich auslobte und der seinem Gewinner einen fünfjährigen Aufenthalt in der Ewigen Stadt ermöglichte. Das jetzt in die Staatsgalerie gelangte Gemälde, das seit 1914 als verschollen galt und erst vor wenigen Jahren in Privatbesitz identifiziert wurde, war Schicks Wettbewerbsbeitrag um den Rompreis des Jahres 1801. Am Ende des dreistufigen Auswahlverfahrens, an dem unter anderen auch Schicks jüngerer Mitschüler Jean-Auguste-Dominique Ingres teilnahm, musste für den "concours définitif" innerhalb von 72 Tagen ein Ölgemälde fertiggestellt werden. Die Akademie hatte eine zentrale Episode aus dem 9. Buch von Homers Illias als Preisaufgabe vorgegeben: Die Boten Agamemnons – der listenreiche Odysseus, der Hühne Ajas, Achills Ziehvater Phönix sowie die Herolde Odios und Eurybates – sollen den zürnenden Achill mit dem Versprechen reicher Sühnegaben dazu bewegen, wieder am Kampf um Troja teilzunehmen. Achill bleibt dem Kampfgeschehen demonstrativ fern, seit ihm der Führer der Griechen, Agamemnon, wichtige Teile der Beute aus den Kämpfen um Troja, vor allem jedoch die Sklavin Briseïs entzogen und ihn dadurch tief in seiner Heldenehre gekränkt hat.

Der Wunsch des ehrgeizigen jungen Stuttgarters, den Wettbewerb um den prestigeträchtigsten französischen Förderpreis für sich zu entscheiden, lässt ihn folgerichtig sein am deutlichsten von der französischen Tradition geprägtes Bild malen: Die friesartige, nahsichtige Anordnung der groß gesehenen Figuren im Vordergrund der Raumbühne geht letztlich auf das Vorbild der Historien Nicolas Poussins zurück, während die nachdrückliche physische Präsenz und Gespanntheit der Körper auf Davids malerische Neuinterpretation der französischen Meister des 17. Jahrhunderts wie auch der klassischen römischen Skulptur der Antike verweist. Auch die theatralische Gestik der Figuren sowie die Vielzahl der sich in Gesichtern und Körpersprache der Boten spiegelnden Affekte verraten das Vorbild Davids. Im Sinne seines verehrten Lehrers lässt Schick die Bildhandlung in der Konfrontation Achills mit den Boten kulminieren: Achill, der sich und seinen Freund und Waffenbruder Patroklos mit Heldenliedern unterhalten hat, zu denen er sich selbst auf der Leier begleitete, tritt den Boten mit raumgreifendem Willkommensgestus entgegen, dessen Ausladung durch seinen lang nachschleppenden Umhang noch verstärkt wird. Der Kontrast der je nach Person und Charakter argumentierend, trotzig, demütig bittend und zagend sich annähernden Boten zu den beiden idealen Jünglingsgestalten Achill und Patroklos – dieser als Halbakt gegeben, um den Juroren der Académie Schicks Befähigung zur Aktmalerei zu demonstrieren – könnte kaum größer sein. So wird das bei Homer später geschilderte Scheitern der Mission im Bild vorweggenommen: Achill wird sich von den Reden der Boten und den ihm versprochenen Sühnegaben nicht zur erneuten Teilnahme am Kampf um Troja bewegen lassen. Obwohl sterblich, ist Achill durch seine Mutter, die Nereide Thetis, göttlicher Abkunft. Diese manifestiert sich im übermenschlichen, eben göttlichen Zorn Achills, den keine irdische Wiedergutmachung lindern kann. Schick macht die göttliche Überhöhung des gekränkten Helden anschaulich, indem er ihn als apollinischen Sänger mit Leier, exaltierter Gestik und demonstrativ unkriegerisch in Szene setzt. Auch Achills Zelt mit Marmorfußboden, thronartigem Greifen-Sessel und von einer baldachinartigen Draperie beschattet, wird als Ort der göttlichen Inspiration nachdrücklich vom übrigen Bildraum abgegrenzt. Hier definieren Mauerfragmente rechts und ein Schiff im Mittelgrund kulissenartig den Ort der Handlung. Im Himmel über den Häuptern der Boten setzt ein Geier zum Sturzflug auf die belagerte Stadt an. Der Aasfresser steuert auf den Ort zu, wo andauernde todbringende Kämpfe reiche Beute für ihn erwarten lassen.

Im Wettbewerb um den Rompreis sollte sich schließlich nicht Gottlieb Schick, sondern sein Mitschüler Ingres durchsetzen, dessen Aufnahmestück sich in der Sammlung der Pariser Académie des Beaux-Arts erhalten hat. Schick scheint sich deswegen nicht gekränkt zu haben. Dank eines durch Herzog Friedrich II. von Württemberg gewährten Reisestipendiums reiste er nach kurzem Zwischenaufenthalt in Stuttgart 1802 nach Rom. In seinen dort entstandenen Hauptwerken "David spielt vor Saul" (1802-1803) und "Apoll unter den Hirten" (1806-1808, beide Staatsgalerie Stuttgart) werden göttlich überhöhte Sterbliche - der musizierdende David – beziehungsweise der die Menschen lehrende Gott Apoll selbst im Mittelpunkt stehen. Die Gestalt Achills aus Schicks Pariser Frühwerk darf als erste Manifestation dieser idealen Jünglingsgestalten angesehen werden.

Dr. Christofer Conrad