Geschöpfe von Hannah Höch von 1926/1929

Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

Hannah Höch wurde vor allem durch ihre dadaistischen Fotomontagen bekannt. Daneben hinterließ sie ein umfangreiches malerisches Werk, aus dem bei aller Unterschiedlichkeit der künstlerischen Mittel eine der Fotomontage verwandte Grundhaltung spricht.

In dem Gemälde Geschöpfe befasst sich die Künstlerin mit dem ewigen Kreislauf des Lebendigen, mit Geburt und Tod, Werden und Vergehen. Sie visualisiert das Thema durch ein Ringelspiel. Die Karussellpferde hat sie durch skurrile geflügelte Fantasiewesen ersetzt, die das Kind im Zentrum umschwirren. In der linken Bildhälfte schwingen sie sich neben einer großen Blume empor. Rechts neigen sich deren Blüten welk zum Boden. Die kleinen Geister purzeln gliederstarr in einen Abgrund, um sich bei der nächsten Drehung wieder emporzuschwingen. Die Grenze zwischen Leben und Tod symbolisiert ein Schnitt, der sich durch die Mitte des Bildes und durch das Kind zieht. Mit dem Einsatz der Farben verklammert die Künstlerin die Bereiche von Leben und Tod in der Gestalt des Kindes, womit sie auf die ständige Erneuerung des Lebens verweist.

Das Gemälde beschwört die überbordenden Effekte der Revue-Abende im Berlin der 1920er Jahre, die Höch und Kurt Schwitters als „Kitschdarbietungen“ im Metropol-Theater erlebten. Sie planten 1925 eine Anti-Revue mit Texten von Schwitters und Musik von Hans Heinz Stuckenschmidt. Hannah Höch entwickelte hierfür die Bühnenausstattung und Kostüme in Aquarellen und Collagen. Das als große Merz-Schau gedachte Stück wurde zwar nie umgesetzt. Die Blumen, Fantasiewesen und Farben des Gemäldes zitieren jedoch die Bühnenentwürfe, und auch die zweigeteilte Anlage des Gemäldes erinnert an den Titel der Anti-Revue: „Schlechter und besser“.

In Geschöpfe verarbeitet Höch diese kabarettistischen Motive in einer Reflektion über die Leichtigkeit und die Bedrängnis des Lebens. Anders als in den Aquarellen wählt sie hierfür bewusst einen hohen, distanzierten Standpunkt. Das Gemälde ist ein bedeutendes Beispiel für Höchs gesellschaftskritische Haltung, die Vielschichtigkeit ihrer Werke und die Mühelosigkeit, mit der sie sich durch die verschiedenen Ebenen der Kulturproduktion ihrer Zeit bewegte.

Dr. Ursula Peters

Abbildung: Hannah Höch (1889-1978), Geschöpfe, 1926/1929, Öl auf Leinwand, 89 cm x 86,5 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr.: Gm2014