Gerhard Altenbourg, 9 Zeichnungen und Aquarelle, 1949/1974

Staatliche Museen zu Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett

Diese gezeichnete Persiflage auf den sowjetischen Diktator im Nachgang zu dessen 70. Geburtstag (21.12.1949) gehört zu der weniger bekannten, jedoch höchst eindrucksvollen frühen Schaffensphase des bildnerischen Poeten Gerhard Altenbourg (1926-1989). Als dieser, 23-jährig, diese rätselhafte Zeichnung schuf, war er einige Monate zuvor von der Weimarer Hochschule für Baukunst und bildende Kunst aufgrund seines „gesellschaftlichen Außenseitertums“ exmatrikuliert worden. Wollte man dort nach Kriegsende zunächst an die lange verfemte Moderne anknüpfen, änderte sich der kulturpolitische Kurs seit 1948 rigoros mit der Ausrichtung auf das sowjetische Vorbild und das Ziel eines sozialistischen Realismus. Der junge Altenbourg folgte jedoch lieber den Impulsen, die er durch seinen Lehrer Hans Hoffmann-Lederer, einen ehemaligen Bauhäusler und Vertreter der abstrakten Gestaltungslehre im Sinne Johannes Ittens, erhielt. Auch das kurze Zwischenspiel der Surrealisten Heinz Trökes und Mac Zimmermann an der Weimarer Hochschule 1947/48 blieb nicht ohne Wirkung auf ihn. So schuf er in der Hochphase des Stalinkults in der gerade gegründeten DDR diese vexierbildhafte Zeichnung, die mit ihrem betonten Wechselspiel der Strukturen und vielfältigen formalen Spannungen (Hell-Dunkel, offene Fläche-kleinteilige Zeichnung etc.) seine Vertrautheit mit modernen Vorbildern bezeugt. Umschlossen von einer zerklüfteten Kontur mit Auswüchsen und Einstülpungen sind in der vielgestaltigen „Zeichen-Saat“ deutliche Hinweise auf Gewalt und Bedrohung mit Bezügen zum Tierreich zu erkennen: etwa die Greifenklaue am unteren Rand, eine ausgestülpte Ratte rechts mit Sowjetsternen im Leib, Glotzaugen, verstärkt durch weitere Augenpaare (der weise Führer Stalin sieht alles). Und dennoch erscheinen die Fragilität der Verbindung zwischen Kopf und Korpus sowie die ausgefransten Umrisse als Hinweise auf die Hinfälligkeit und Lächerlichkeit des Monsters Stalin. Über seine Zeichnungen dieser Art erklärte der Künstler: „Der Zeichner hat vieles versteckt, mit einer diebischen Freude am Versteckspiel, das aufzufinden bereitet Freude, regt die schöpferische Findigkeit an.“

Anita Beloubek-Hammer

Abbildung: Gerhard Altenbourg, Stalins Geburtstag, 1950, Litho-Kreide auf Papier, 61 x 51,5 cm