Fragmente eines Kraters von einem Maler der New Yorker Nessos-Amphora, 675-650 v. Chr.

Staatliche Antikensammlung der Glyptothek München

Von dem einstmals gut 70 cm hohen ovoiden Krater sind zwei Fragmente erhalten. Der blassorange Ton trägt als Malgrund einen hellen Überzug. Die Malfarbe changiert zwischen dunkelbraun und braunrot. An einigen Stellen setzte der Vasenmaler zur Angabe von Details auch Ritzung ein. Allein für die Figuren des Hauptbildes verwendete er zusätzlich Pigmentfarben: Braun, Rot und Weiß.

Von diesem Bild auf der Gefäßschulter ist nur der rechte Abschnitt erhalten: Zwei junge Männer tragen eine Frau nach links, die ursprünglich das Bildzentrum gebildet hat. Von ihr sind nur die nackten Füße und der untere Teil ihres langen roten Kleides erhalten. Die Jünglinge haben eine Pagenfrisur, tragen ein kurzes Gewand und halbhohe Schuhe. Ihre unbekleideten Beine, Arme und das Gesicht sind wie die Füße der Frau durch Deckweiß betont.

Vergleiche mit zwei deutlich später entstandenen, aber vollständig erhaltenen Darstellungen – auf einer Amphora des Timiades-Malers im British Museum sowie einem Sarkophag in Çanakkale – geben Aufschluss über das Bildthema. Dort tragen jeweils drei Männer eine junge Frau zum Altar, wo ein Vierter ihr mit einem Schwert in den Hals sticht. Auf der Vase in London ist der Frau der Name Polyxena beigeschrieben. Die Tochter des Priamos, die nach der Eroberung Trojas von den Griechen am Grab des Achill geopfert wurde, ist wahrscheinlich auch auf unserem Krater abgebildet. Da sich der bärtige Mann auf der Rückseite zum Menschenopfer umwendet, liegt die Vermutung nahe, dass er in das Geschehen eingebunden ist.

Aufgrund der Maltechnik lässt sich unser Fragment in die zahlenmäßig kleine Gruppe des „Black and White Style“ einordnen. Diese war in Athen nach dem Ende des Geometrischen Stils und vor Einführung der schwarzfigurigen Malweise technisch und künstlerisch führend. Der bedeutendste Vertreter wird nach seinem Hauptwerk als Maler der New Yorker Nessos-Amphora bezeichnet. Stilistisch lässt sich ihm auch unser Stück zuweisen. Neu sind die Monumentalität der Figuren, die Polychromie und die komplexe Darstellung von Mythen. Für Fabelwesen wie die Ketoi im unteren Bildregister hat sich damals noch kein kanonischer Typus etabliert.

 

Dr. Florian S. Knauß

 

 

Abbildung 1: Junge Männer tragen eine Frau (Polyxena) zum Altar. Im unteren Bildregister zwei antithetische Seeungeheuer (Ketoi), die drei Löwenköpfe mit einem Fischleib verbinden. Fragment der Vorderseite eines mittelprotoattischen Kraters.

Abbildung 2: Ein bärtiger Mann läuft in die Gegenrichtung, wendet sich aber zum Geschehen auf der Vorderseite um. Fragment der Rückseite des Kraters.

Fotoaufnahmen: Wolfram Kastl © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek