Erwerb eines Barocken Messkelches, 1693

Schlesisches Museum zu Görlitz

Die Ausstattung schlesischer Kirchen und Klöster hat in den Wirren am Ende des Zweiten Weltkriegs und in den unsicheren ersten Nachkriegsjahren schwere Einbußen erlitten. So gilt ein erheblicher Teil der Vasa Sacra Breslaus als verschollen. Umso erfreulicher ist es, wenn doch gelegentlich ein verloren geglaubtes Stück wieder auftaucht. Der prunkvolle barocke Messkelch, der aus deutschem Kunsthandel erworben werden konnte, stammt von einem der ältesten geistlichen Institute der schlesischen Hauptstadt, dem Prämonstratenserkloster St. Vinzenz. Der 1693 datierte Kelch ist letztmalig in einem Kirchenführer von 1937 erwähnt und gelangte wohl schon am Ende des Krieges in das westliche Deutschland. Er wird demnächst in der ständigen Ausstellung des Schlesischen Museums zu Görlitz zu sehen sein. Der Kelch ist von einem reichen, in Treibarbeit gefertigten Reliefdekor aus Akanthus- und Weinranken, Trauben und Granatäpfeln fast flächendeckend überzogen. Auffällig sind die geschnittenen roten und blauen Glassteine, die Kuppa und Nodus zieren, vor allem aber vier große, figürlich gestaltete und in Tiefschnitt ausgeführte Glasmedaillons am Fuß. Das ikonographische Programm verbindet Elemente der prämonstratensischen Tradition mit dem Kult des heiligen Wenzel, denn St. Vinzenz von Breslau gehörte zur böhmischen Ordensprovinz der Prämonstratenser. Vor allem die sehr qualitätvollen Glasschnitte machen die kulturgeschichtliche Bedeutung des Kelches aus. Der Tiefschnitt wurde ursprünglich bei der Bearbeitung edler Steine angewandt. Seit der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts übertrugen schlesische Glasschneider die Technik auf Glas und begründeten damit die europäische Vorrangstellung schlesischen Glases in den folgenden Jahrzehnten. Eine Widmung am Fußrand erläutert Entstehung und Bestimmung des Kelches. Pater Gottfried Hübner, Mönch bei St. Vinzenz, erhielt ihn als Geschenk seiner Eltern zur Feier seiner Primiz. Eine Familie Hübner, die als „Juweliere“ bezeichnet werden und in der der Name Gottfried vorkommt, ist im Breslau des 17. Jahrhunderts nachzuweisen. Juweliere sind in dieser Zeit spezialisierte Gold- und Silberschmiede, die sich mit der Fassung edler Steine beschäftigen. Es ist zu vermuten, dass der ungemarkte Kelch im Umkreis dieser Familie entstanden ist.

Dr. Markus Bauer

 

Abbildung:

Barocker Messkelch, 1693, Silber, getrieben, gesägt, ziseliert, punziert, graviert, vergoldet; farbloses Glas mit Tiefschnitt, farbige Glassteine; H. 28,5 cm; D. 19,1 cm (Fuß), D. 10,7 cm (Kuppa) © Schlesisches Museum zu Görlitz