Ernst-Ludwig Kirchner, Stehende nackte Mädchen am Ofen

Staatliche Kunstsammlungen Dresden

In raumsprengender Präsenz stehen zwei nackte junge Frauen fast lebensgroß im Atelier des Künstlers. Die großformatigen, blau schimmernden Kacheln des Ofens hinterfangen den vorderen, in leichter Drehung nach vorn begriffenen Rückenakt. In der etwas kleineren linken Bildhälfte steht in Marées-hafter Monumentalität - durch den Bildrand vor allem oben begrenzt - der nur leicht gewendete, fast frontal aus dem Bild blickende zweite Akt. Das überaus großzügige und mutige Gemälde steht in engem Zusammenhang mit zahlreichen gleichzeitigen Zeichnungen in Kohle, Pastell und Tusche, mit denen die Künstler der Gruppe Brücke sich dem weiblichen Akt im Sommer in der freien Natur und im Winter in der „häuslichen Natur" des Ateliers genähert haben. In ihrer Abkehr von einer akademischen Kunstauffassung bemühten sich die Mitglieder der Berliner Künstlergruppe in ihren Ateliers beim sogenannten Viertelstundenakt um die direkte schnelle Erfassung der Figur in natürlicher Bewegung.

Dieser lebendigen Bildung entsprechen die in behutsamer Bewegung begriffenen Akte, ihre das Format der Leinwand sprengende Größe und - maltechnisch - der Farbauftrag und Pinselduktus. Die am Boden angedeutere,in ihren Ateliers beim Erfassung der ertelstundenakt um die direkte schnelle Erfassung der Figur in natürlicher Dieser lebendigen Bildung entsprechen die in behutsamer Bewegung begrifienen Akte, ihre das Format der Leinwand sprengende Größe und - maltechnisch - der Farbauftrag und Pinselduktus. Die am Boden angedeutete, perspektivisch angelegte Standfläche in Grün gibt das Fundament für die mit schnellen Umrißzeichnungen hingestellten beiden Frauen. Die Modulierung der Körper beschränkt sich auf fleckenartig aufgetragene, hauptsächlich chromgelbe sowie wenige türkisblaue und karminrote Höhungen auf dem rosa Inkarnat.

Höhepunkt des Farbenrausches ist die Zeichnung der beiden Gesichter, die im Hinblick auf das nachgewiesene Interesse Kirchners für Völkerkunde mit der Gesichts-bemalung indianischer Stämme zu vergleichen ist. Der restauratorische Zustand ist vielleicht auch deswegen so ausgezeichnet - von jeder Art Eingriff, Retuschen, Ausbesserungen, Firnis etc. völlig unberührt -, weil bislang die „Verso"-Seite des Gemäldes, „Die Verbindung" von 1922, als Hauptansicht galt. Gerade der unveränderte Zustand des Gemäldes von 1908 läßt dieses Werk zu einem seltenen Zeugnis im Œuvre von Kirchner werden, das die Entstehung der von allen Vorbildern (C. Amiet, G. Klimt, H. Matisse und E. Munch) befreiten eigenen Handschrift - Kirchners Beitrag zur Weltkunst in diesem Jahrhundert - erkennen läßt.

Ulrich Bischoff

Abbildung: Ernst-Ludwig Kirchner (1880 - 1938): Stehende nackte Mädchen am Ofen, 1908 Öl auf Leinwand; 150 x 95 cm Rückseite: Die Verbindung, 1922 , © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Schloss Glienicke