Erhard Altdorfer, Zwei Tafeln des Maria-Magdalenen-Retabels der Lübecker Bruderschaft der Schneidergesellen, 1519
St. Annen Museum, Lübeck
Das Maria-Magdalenen-Retabel zählt zu den Hauptwerken spätgotischer Kunst in Lübeck. Es wurde im Jahr 1519 von den Schneidergesellen für die Lübecker Burgkirche in Auftrag gegeben und eint qualitätsvolle Schnitzkunst mit fein ausgeführten Tafelmalereien.
Da die Burgkirche 1819 wegen Baufälligkeit abgerissen worden ist, wurde das Retabel ein Jahr zuvor auf den Oberchor der Lübecker Katharinenkirche verbracht – einem ersten provisorischen Museum in Lübeck. Seit 1840 wird das Maria-Magdalenen-Retabel im Sammlungsbestand des heutigen St. Annen-Museums unter den Inventarnummern 18 (Flügelretabel) und 19 (Predella) geführt. Kurz zuvor wurden die Flügel vermutlich vom Hauptwerk getrennt, zersägt und dem Kunstmarkt zugeführt. Seit 1941 befinden sich die beiden Tafeln des rechten Außenflügels im Besitz des Allen Memorial Art Museum in Oberlin, Ohio (USA). Dank der Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung konnten nun die zwei Tafeln des linken Flügels, die lange als verschollen galten, erworben und in ihren ursprünglichen Zusammenhang zurückgeführt werden. Die sehr wahrscheinlich von Erhard Altdorfer ausgeführten Malereien zeigen zwei Episoden der in acht Bildfeldern gemalten sog. Meerfahrtslegende der Maria Magdalena: ihre Ankunft in Marseille (Abb. 1) und die Bekehrung eines Fürstenpaars (Abb. 2). Es handelt sich um zentrale Motive einer apokryphen Erzählung (Abb. 3), die das Leben der Heiligen zwischen Himmelfahrt Christi und ihrer Zeit als Eremitin schildert. Kombiniert werden diese Malereien der ersten Wandlung mit Schnitzereien in der zweiten Wandlung (Abb. 4), die unterschiedliche biblische Begebenheiten der Maria Magdalena aus Bethanien, der Maria Magdalena aus Magdala und der Sünderin Maria Magdalena zu einer Legende miteinander verweben. Im Jahr 1227 siegte die Hansestadt Lübeck am 22. Juli, dem Patronatstag der Heiligen Maria Magdalena, in der Schlacht von Bornhöved und konnte sich dadurch von der dänischen Vorherrschaft befreien. Aus diesem Grund erfährt die Heilige seit jeher eine besondere Verehrung. Eben diese Szenerie ist auf einer der beiden Tafeln, die sich heute in Oberlin (Ohio) befinden und einst den rechten Außenflügel bildeten, zu sehen. Sie stellt ebenso wie das Holstentor im Hintergrund einer weiteren Szene den bedeutenden Bezug zur Stadt Lübeck her.
Text: Noura Dirani, Anna Lena Frank
Abb. 1: Die Ankunft der Maria Magdalena in Marseille
Abb. 2: Die Bekehrung des Fürstenpaares durch Maria Magdalena
Abb. 3: Das Maria-Magdalenen-Retabel, bisherige Rekonstruktion der 1. Wandlung mit den beiden 2025 angekauften Tafeln (noch in schwarz-weiß) und den beiden Tafeln aus dem Allen Memorial Art Museum (USA)
Abb. 4: Das Maria-Magdalenen Retabel (geöffnet)