Ein Wiederhold zur Wiedereröffnung

Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Die Dauerausstellung leitet jetzt ein großformatiges Gemälde von 1928 ein, das in eindrucksvoller Weise die Licht- und Schattenseiten der deutschen (Kunst-)Geschichte im Umbruch der 1920er und 1930er/1940er Jahre repräsentiert. Darüber hinaus ist das außergewöhnliche Werk gleichermaßen ein Nukleus des künstlerischen Könnens und kreativen Geistes des Künstlers. Es ist daher ein absoluter Glücksfall, dass das in jeder Hinsicht außergewöhnliche Gemälde „Bogenschützen“ von Sascha Wiederhold aus Privatbesitz für die Öffentlichkeit erworben werden konnte.

Auf stattlichen sechs Quadratmetern Bildfläche zeigt das in Öl und Mischtechnik leuchtend bunt ausgeführte Werk eine abstrakte Jagdszene, in deren Mitte mehrere Tiere den sie umringenden Bogenschützen erliegen. Wiederhold schuf das Gemälde auf dem Höhepunkt seines kurzen künstlerischen Schaffens und es gilt heute als sein absolutes Hauptwerk.

Der 1904 in Münster als Ernst Walther geborene Sascha Wiederhold kam 1924 nach Berlin und studierte bei César Klein an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst. Sehr schnell entwickelte er sich zu einem der bedeutenden Protagonisten der Moderne in Deutschland und bereits ein Jahr nach Studienbeginn widmete die angesehene Galerie „Der Sturm“ – einer der wichtigsten Hotspots der internationalen Avantgarde in Europa – Wiederhold eine eigene Ausstellung. So rasch seine künstlerische Karriere begann, so unmittelbar wurde sie durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten und ihrer autoritären Kulturpolitik gestoppt. Der Künstler zog sich zurück, gab die Malerei in den 1930er Jahren vollends und für immer auf und arbeitet fortan als Buchhändler. Nur einige wenige Zeichnungen sind bekannt aus dem Jahre 1946, nachdem Wiederhold aus britischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war. Einen künstlerischen Neubeginn konnten sie nicht einleiten und so beschränkt sich heute Wiederholds Schaffensperiode auf gerade einmal sechs Jahre (1924-1930). – Ein Grund, warum die Werke des Künstlers lange Jahre zu Unrecht randständig behandelt wurden. Das Bild vermittelt damit auch die Konsequenzen der verhängnisvollen deutschen Geschichte im Nationalsozialismus, die eine blühende Künstlerkarriere abbrechen ließ.

„Bogenschützen“ ist aber auch in anderer Hinsicht ein Kulminationspunkt, in dem sich die Höhepunkte des freien, rasanten, wilden Berlins der sog. Goldenen Zwanziger in künstlerischer Offenheit und gleichzeitiger Verdichtung ebenso vereinigen wie die technische Kunstfertigkeit Wiederholds. Formale Referenzen zum russischen Konstruktivismus, italienischen Futurismus und französischen Orphismus werden ungezwungen miteinander verwoben und zeigen, wie der Künstler auch (multimediale) Einflüsse anderer Sturm-Künstler*innen individuell für sich weiterentwickelte. Die Leuchtkraft der Farben, die Wiederhold durch die maltechnisch raffinierte Ausführung nochmals steigern konnte, und die Kombination der Formen spiegeln in ihrer dynamischen Kraft die historische Erfahrung der pulsierenden Großstadt Berlins und der Aktualität und Modernität in den ungezügelten 1920er Jahren wider. Zeitlos aber ist das gewählte Bildthema, das schon seit Urzeiten zum Bildrepertoire der Kunst gehört. Das reiche Formenornament wird dadurch zu einer Art mythologischen Welterzählung des Lebens als Kreislauf.

Abbildung:

Sascha Wiederhold, Bogenschützen, 1928
© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Leihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung / Foto: Sebastian Schobbert