Ein Vorläufer der Stahlrohrmöbel: Der Eiserne Schaukelstuhl, 1839/1850

GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Der wohl um 1839/1850 in London oder Birmingham entstandene Schaukelstuhl überzeugt durch die Schlichtheit seiner Konstruktion. Sie beruht seitlich auf jeweils zwei S-förmig gebogenen Halbrundeisen, von denen das längere die Rückenlehne hält und gleichzeitig als Armlehne und Schaukelkufe fungiert. Zusätzlich verbindet ein halbkreisförmig gebogenes Eisen die Armlehne mit den Kufen. Das eingehängte Polster für Sitzfläche und Lehne wird von Querstreben sowie jeweils einem Metallbogen, der die beiden seitlichen Eisenstäbe miteinander verbindet, gestützt. Am Ende der Kufen sorgt eine zusätzliche Querstrebe für die nötige Fixierung. So entsteht ein heute noch modern anmutendes Sitzmöbel, das auf jegliche schmückende Zutat verzichtet. Beeinflusst durch den englischen Wagen- und Kutschenbau, wurde der Schaukelstuhl als Möbeltypus bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelt. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass unser Schaukelstuhltyp eine Erfindung des Metallwarenproduzenten John Porter in London gewesen sein könnte, da ein vergleichbarer Stuhl bereits 1839 auf einem Katalogblatt dieses Herstellers abgebildet ist. Möglicherweise könnte unser Stuhl jedoch auch von der Firma R. W. Winfield in Birmingham produziert worden sein – eine Vermutung, die eine etwas spätere Datierung des „metal rockers“ um 1850/51 zur Konsequenz hätte. In den folgenden Jahren wurden ähnliche Schaukelstühle von mehreren Firmen in Europa und den USA produziert – ein Beweis für die damalige große Beliebtheit dieses Modells. Auf der Weltausstellung 1851 in London bildeten die Schaukelstühle einen deutlichen Gegenpol zu den verspielten und oftmals überreich verzierten neugotischen und Neobarock-Möbeln des Historismus. Allerdings fanden die aus Metall hergestellten Schaukelstühle wegen ihres Gewichtes und ihres hohen Preises keinen großen Absatz. Erst durch die Verwendung von Bugholz, wie es die Firma der Gebrüder Thonet bevorzugte, konnte sich dieser Möbeltyp des Schaukelstuhls auf breiter Ebene durchsetzen. In seiner schlichten Zweckform darf der Schaukelstuhl als eine Art Vorläufer der Stahlrohrmöbel des 20. Jahrhunderts gelten.

Dr. Thomas Rudi

 

Abbildung:

Eiserner Schaukelstuhl, 1839/1850, Schmiedeeisen, Messingmuttern (Bezug rekonstruiert), H. 92cm, B. 104,5 cm, T. 54,5 cm, © GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig