Ein Nietzsche in Bronze von Max Klinger für Weimar

Klassik Stiftung Weimar, Neues Museum

Am 25. August 1900 war Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) in Weimar verstorben. Ein Telegramm erreichte Max Klinger in Paris, der sich außerstande sah, die Totenmaske abzunehmen. Dem Maler Curt Stoeving, assistiert von dem ebenfalls kaum erfahrenen Harry Graf Kessler, gelang folglich eine nur unvollkommene Abformung. Klinger erbat mit seinem Kondolenzbrief einen Abguss der Maske, die neben einigen Photos und Graphiken zur Grundlage seiner Arbeit für diese erste Porträtbüste Nietzsches wurde, deren Wachsmodell im Februar 1902 dem Gießer in Paris übergeben wurde.

Leicht überlebensgroß sitzt der Kopf auf einem Hals, der unmerklich nach links geneigt in einen torsoartig angedeuteten Ansatz der Brust übergeht. Alle Partien des Gesichts – Stirn, Augenbrauen, Nase, Bart und Kinn – sind leicht asymmetrisch angelegt. Das Haupthaar türmt sich links zu einem hohen Wirbel, rechts flieht eine Mittelsträhne über das Ohr. All dies erzeugt eine expressive Dramatik, die zu dem unbewegten und starr wirkenden Blick im Kontrast steht, wobei die Energie auf einen Fluchtpunkt außerhalb des Gesichtsfeldes zuströmt. Das Kinn und der unmerklich geöffnete Mund sind nur aus der Untersicht zu sehen. Sie werden von dem so voluminösen wie strähnigen Bart überlagert, dem Klinger eine detailversessene Ausarbeitung gewidmet hat. Gusstechnisch war das nur im Verfahren der Wachsaus-schmelzung zu bewerkstelligen, die eine Vervielfältigung dieses Kunstwerks nicht möglich machte.

Seit Ende 1900 hatte Harry Graf Kessler im Verein mit Elisabeth Förster-Nietzsche die Idee verfolgt, Weimar mit Hilfe der modernen Kunst zu einer neuen Blüte zu verhelfen. Die ehrgeizige Planung sollte im Dezember 1901 aufgehen, als Großherzog Wilhelm Ernst einer Berufung des damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms stehenden »Alleskünstler« Henry van de Velde zustimmte und ihn zu seinem Berater ernannte. Kessler organisierte in der Folge für das »Neue Weimar« eine Fülle herausragender Ausstellungen und begann diesen Reigen mit einer Personalschau zum Œuvre von Max Klinger, auf der 1903 auch diese erste Porträtbüste gezeigt wurde.

Klinger hat bis 1914 an mehreren Bildfindungen Nietzsches in Gips, Terrakotta, Marmor und Bronze gearbeitet, kam allerdings in der künstlerischen Qualität über sein erstes Porträt von 1902 nicht hinaus, das bis heute den Höhepunkt seiner langjährigen Beschäftigung mit Nietzsche und seiner Geisteswelt darstellt.

Dr. Thomas Föhl

Abbildung: Max Klinger (1857 – 1920): Porträtbüste Friedrich Nietzsche, 1902, Bronze, H. 50 cm, erworben durch die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Klassik Stiftung Weimar