Ein Goldenes Ei für das Grüne Gewölbe

Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Seine Spur hatte sich gänzlich verloren, und so ist es heute weitgehend vergessen: das Goldene Ei, eine legendäre Pretiose, die damals in der Schatzkammer des sächsisch-polnischen Kurfürst-Königs Augusts des Starken einen besonderen Rang einnahm und in einem Führer von 1884 gar als „eines der Wahrzeichen“ des Grünen Gewölbes aufgeführt wird. Seine Geheimnisse offenbart das Ei erst im Zuge seiner spielerischen Handhabung, die verschiedene Überraschungseffekte auslöst. Schraubt man das Ei auf seiner breiteren Seite auf, so stößt man auf eine Henne mit Rubinaugen und emailliertem Gefieder, die mittels eines Scharniers ebenfalls zu öffnen ist. Ihr Inneres birgt eine mit Diamanten und Perlen besetzte Krone mit sechs Bügeln. Diese wiederum ist aufklappbar und gibt sodann einen Fingerring mit einem großen karmosierten Diamanten frei, der zugleich zwei Bügel der Krone bildet. In deren Unterseite ist ein Karneol als Siegelstein eingelassen. Sein Intaglio zeigt ein Schiff in stürmischer See sowie spiegelbildlich das Motto „CONSTANT MALGRE L’ORAGE“ (Standhaft trotz des Sturms). Auf der anderen, schmal zulaufenden Seite des Eis befindet sich ein weiterer Schraubverschluss. Öffnet man diesen, so erscheint unter einem halbrunden Deckel eine Tülle, auf die wohl ehemals ein mit einer wohlriechenden Essenz getränkter Schwamm aufgesteckt war. Im Goldenen Ei verbinden sich materielle Kostbarkeit, hohe Kunstfertigkeit, symbolträchtige Aussage und Innovationsfreude. Es gehörte im 19. Jahrhundert zu den berühmtesten Stücken der Sammlung und hinterließ großen Eindruck etwa bei dem jungen Carl Fabergé, der zu Beginn der 1860er Jahre in Dresden weilte. Zweifellos diente es ihm als Inspirationsquelle für das erste seiner Ostereier für den Zaren. Nur zwei in Aufbau und Machart vergleichbare Stücke aus dem 18. Jahrhundert haben sich erhalten: Eines davon bewahrt die Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums Wien, das andere befindet sich in der Königlich Dänischen Sammlung auf Schloss Amalienborg in Kopenhagen. Die Rückerwerbung des Dresdner Goldenen Eis ist ein außerordentlicher Glücksfall; das kleine Stück schließt eine große Lücke in den Beständen einer der bedeutendsten Schatzkammern Europas.

Dr. Ulrike Weinhold

Abbildung:
Das sogenannte Goldene Ei
Wohl deutsch, um 1700
Gold, Email, Rubine, Diamanten, Karneol, Perlen
Ei: 5 x 3,5 cm, Henne: 3,1 x 2,9 x 2,6 cm, Krone: 2,6 x 2 x 1,8 cm,
Gesamtgewicht: 124,15 Gramm
© Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Fotograf: Michael Wagner