Digital Benin

Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt (MARKK)

Digitale Plattform zur Zusammenführung der Kunstschätze aus dem Königreich Benin

Warum fördert die Ernst von Siemens Kunststiftung (EvsK) die internationale Plattform Digital Benin?
Die EvSK unterstützt Erwerbungen, Ausstellungen, Restaurierungen, Werkverzeichnisse sowie Bestandskataloge für deutsche Museen – global war die Kunststiftung bislang nicht unterwegs. Allerdings befindet sich im Eigentum der Stiftung ein Gedenkkopf eines Obas (Oberhaupt des Königreichs Benin), der schon im Jahr 2000 aus der Sammlung Dr. Hans Meyer für das Leipziger Grassimuseum angekauft wurde (Abb. 2). Die Kunst des ehemaligen Königreichs Benin im heutigen Nigeria hat also auch die EvSK bereits in ihrer Anfangszeit zumindest punktuell beschäftigt. Aber erst 2018 konnten wir Frau Prof. Dr. Plankensteiner, der damals neu berufenen Direktorin des Hamburger MARKK (Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt), im Nachgang unserer Beteiligung an dem Restaurierungs- und Erschließungsprojekt von Depotbeständen KUNST AUF LAGER eine Förderung der Erfassung der nicht ausgestellten, hochkarätigen Benin-Sammlung des Hamburger MARKK vorschlagen, die nicht nur die bekannten Bronzen vereint (Abb. 3a-c). Frau Plankensteiners profunden Kenntnisse und Wertschätzung der Kunst des ehemaligen Königreichs Benin, die Einbindung in die Benin Dialogue Group sowie die Diskussionen um Rückgaben der 1897 aus dem Königreich Benin geplünderten Kunstschätze brachten das MARKK und die EvSK schließlich dazu, größer zu denken: Nach einem ebenfalls finanzierten Vorprojekt mit Arbeitstagung begann noch 2018 die Arbeit an Digital Benin, einem „digitalen Bestandskatalog“ mit Schwerpunkt auf den vor 1897 entstandenen Kunstschätze des Königreichs Benin. Die Ausstellung „Benin: Geraubte Geschichte“ seit dem 17.12.2021 im MARKK war mit dem Forschungs- und Erschließungsprojekt verschränkt und wurde ebenfalls von der EvSK unterstützt (Abb. 4). Die eindrucksvolle Schau vermittelte neben Informationen zum britischen Kolonialkrieg und zur aktuellen Restitutionsdebatte verschiedene Perspektiven auf die ursprüngliche Bedeutung der Objekte, ihre herausragende künstlerische Qualität und ihren Stellenwert in der afrikanischen Kunst- und Kulturgeschichte. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Provenienz der Sammlung und ihre Verflechtungsgeschichte mit den Hamburger Handelsnetzwerken gelegt.

Digital Benin sprengt allerdings den Rahmen der bislang von der EvSK unter der Rubrik „digitale Bestandskataloge“ geförderten Projekte (The Dresden Porzellan Project. Digitaler Bestandskatalog ostasiatischen Porzellans August des Starken der staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit ca. 8000 Objekten ; Heartfield Online. Katalog des graphischen Nachlasses von John Heartfield im Archiv der Akademie der Künste Berlin mit ca. 6.200 bildkünstlerischen Werken ) Die EvSK hat sich auf das Abenteuer eingelassen, in einem Projekt mit 131 weltweit verteilten Museen 5.240 Objekte aufzunehmen und diese in nie gekannter Weise zu kontextualisieren. Zu diesem Zweck sollen zudem in einem weiteren Arbeitsschritt nach dem aktuellen Launch von Digital Benin im November 2022 noch archivalische und fotografische Quellen integriert werden (Abb. 5). Der Stiftungsrat der EvSK hat dazu insgesamt über 1,5 Mio. Euro als Alleinförderer bewilligt und dem großartigen Team des MARKK weitgehend ungestörtes Arbeiten ohne überbordende Berichtspflichten oder politische Einflüsse ermöglicht. Die Kunststiftung ist kein versierter Wissenschaftsförderer und ist bewusst ins Risiko eines innovativen und volatilen Projekts mit zahlreichen unbekannten Beteiligten gegangen und das Vertrauen in den Projektträger und die beteiligten Wissenschaftler*innen hat sich mehr als gelohnt. Die praktizierte internationale, einvernehmliche und moderne Herangehensweise hat sich ausgezahlt und als Förderer danken Stiftungsrat und Vorstand der EvSK dem gesamten Team um Prof. Dr. Plankensteiner und Dr. Anne Luther für ihre zielorientierte und erfolgreiche Arbeit an Digital Benin.

Die Pressekonferenz zum Launch von Digital Benin findet am 9. November 2022 im Berliner Magnus-Haus statt (Abb. 6a-d). Die Presseresonanz füllt schon jetzt einen dicken Ordner mit umfangreichen Vorabartikeln in der Londoner Financial Times und im The Art Newspaper. Für die Betreuung unserer Pressearbeit danke ich wieder ausdrücklich Celia Solf (Artefakt)!

Das Ergebnis ist eine vorher nie gekannte Sichtbarkeit der Kunst und Kultur des Königreichs Benin vor 1897. Einer Kunst, die nach ihrer kolonialistischen Plünderung internationale Strahlkraft gewann und dadurch auch die Kultur Europas beeinflusste und prägte. Die Kunst des Königreichs Benin ist Weltkunst, kann nun durch Digital Benin erstmals auf der ganzen Welt vollständig rezipiert und erforscht werden – das wünsche ich mir auch für die Originale. Alle mit den aktuellen Rückgaben, der Erforschung und zukünftigen Bewahrung befassten Institutionen und Personen werden daran gemessen werden, ob die dauerhafte Zugänglichkeit und Sichtbarkeit auch der originalen Kunstwerke in Zukunft gesichert sind. Digital Benin sichert und dokumentiert den nun bekannten und identifizierten Bestand, ermöglicht tiefergehende internationale Forschung und entspricht damit hervorragend den Intentionen unseres Stiftungsgründers.

Prof. Dr. Elisabeth Plankensteiner danken wir ganz herzlich für ihr Engagement für das Projekt Digital Benin, das sie neben einer Neuausrichtung des MARKK, zahlreichen spektakulären Ausstellungsprojekten und ihrer Teilnahme an den Restitutionsverhandlungen mit Nigeria betrieb. Sie konstatiert: „Es gab bislang nur wenige Wissenschaftler*innen, die sich in jahrelanger Forschung einen Überblick über die Kunst des Benin Königreiches verschaffen konnten und überhaupt die Möglichkeit hatten, einen großen Teil der etwa 5.000 Werke in Sammlungen und Museumsdepots weltweit zu sehen und sie zu vergleichen. Dank Digital Benin ist dieser Überblick nun für alle interessierten Menschen und Wissenschaftler*innen möglich, vor allem für die Edo-Bevölkerung und die nigerianischen Kolleg*innen, die schon seit Jahrzehnten diese Transparenz forderten. Es war ein lang gehegter Wunsch des Benin-Königshauses und der Nigerianer*innen, einen Überblick über den auf der ganzen Welt verstreuten königlichen Kunstschatz zu haben und das Wissen darum zu bündeln, zu vernetzen und darzustellen. Ein beträchtlicher Teil der Werke wird nun im Rahmen der aktuellen Restitutionsprozesse nach Nigeria zurückkehren. Mit Digital Benin beginnt parallel dazu ein neues Kapitel der Wissensgeschichte.“

Das Projekt
Im Oktober 2020 startete das MARKK, das zunächst auf zwei Jahre angelegte Großprojekt, das die im späten 19. Jahrhundert geraubten und weltweit zerstreuten Kunstschätze aus dem Königreich Benin auf einer digitalen Plattform dokumentieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Die Förderung der EvSK finanziert das Vorhaben mit Projektbüros in Hamburg und Benin City sowie Arbeitsplätzen in Frankreich, Österreich, Großbritannien und den USA. Ein vierzehnköpfiges internationales Projektteam, unterstützt durch fünf wissenschaftliche Berater*innen in Nigeria, Kenia und den USA, machte sich an die Arbeit, weltweit Sammlungen zu kontaktieren, die relevanten Objektdaten zusammenzutragen und für die Plattform zu bearbeiten (Abb. 9). Das Ergebnis: 131 Museen und Institutionen aus 20 Ländern, darunter Australien, Neuseeland, die Vereinigten Staaten, Kanada und Israel sowie 14 europäische Staaten, wirkten daran mit, über 5.240 Objekte zu dokumentieren (Abb. 10).
Als beispielloses Wissensforum stellt Digital Benin neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die die digitale Dokumentation der verlagerten Objekte mit mündlichen Überlieferungen, Objektforschung, historischen Zusammenhängen, einem grundlegenden Edo-Sprachkatalog, Provenienzangaben, einer Karte des Königreichs Benin (Abb. 11a-c) und Museumssammlungen weltweit zusammenführt. Die fundierte, interaktive Plattform liefert somit den seit Langem geforderten Überblick zu den im 19. Jahrhundert geplünderten Hofkunstwerken, macht die Bestände erstmals sichtbar und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Der Katalog konzentriert sich auf Objekte, die im Februar 1897 von britischen Truppen aus dem Königreich Benin (heute Edo State, Nigeria) geplündert und unmittelbar danach über die ganze Welt verteilt wurden. Die historischen Benin-Objekte sind Ausdruck der Kunst, Kultur und Geschichte Benins und wurden ursprünglich als königliche Repräsentationskunst, zur Darstellung historischer Ereignisse, zur Kommunikation, zur Verehrung und zur Durchführung von Ritualen verwendet. Bestandteil des Katalogs ist auch eine kleine Gruppe von Objekten, die den erweiterten Kontext der künstlerischen Produktion der Gilden von Benin darstellen sollen: Dazu zählen Bini-Portugiesische Ikonen, die im 16. Jahrhundert außerhalb Westafrikas hergestellt und in Umlauf gebracht wurden, Objekte, die in benachbarten Regionen des Königreichs hergestellt wurden, sowie eine Auswahl von Werken, die von namentlich genannten Künstlern nach 1930 produziert wurden und sich in Museumssammlungen befinden.

Die Erarbeitung von Digital Benin
Dr. Anne Luther, die wunderbare Projektkatalysatorin mit Arbeitsplatz in Philadelphia, beschreibt das Vorgehen zur Erarbeitung der Datenbank: „Der Wunsch und verschiedene Versuche, einen Überblick über die verstreuten königlichen Kunstschätze von Benin zu schaffen, bestehen schon seit langem und sind seit den 1970er und 1980er Jahren in akademischen Kreisen und bei Aktivist*innen präsent. Nach der Unabhängigkeit Nigerias wurden die Forderungen nach Rückgabe, Leihgabe und/oder Restitution der in Benin geraubten Objekte häufig von der Aufforderung an die Museen begleitet, ein Verzeichnis ihrer Bestände zu erstellen. Die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Online-Museumskataloge machen dies inzwischen möglich. Zum ersten Mal seit ihrer weltweiten Zerstreuung in Folge der berüchtigten ‚Benin-Strafexpedition‘ von Februar 1897 vereint Digital Benin die Objekte nun auf einer gemeinsamen Plattform, ergänzt durch Informationen, die der Öffentlichkeit bislang schwer zugänglich waren. Sie wird einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung und Verbreitung von Wissen über ein herausragendes Kapitel der afrikanischen Kunst- und Kulturgeschichte an ein breites und vielfältiges Publikum leisten. Mit der Plattform wird eine einzigartige Ressource geschaffen, die in Zeiten, in denen sich viele Museen auf die Rückgabe von Objekten an ihre Herkunftsorte vorbereiten, umso wichtiger erscheint. Nach dem Launch im November 2022 wird Digital Benin auf einen Hauptprojektträger in Nigeria übertragen und eine Rolle bei der Förderung weiterer Forschung spielen, insbesondere für nigerianische Wissenschaftler*innen, die derzeit durch den schwierigen Zugang zu Forschungsmaterialien und Quellen in europäischen und amerikanischen Museen und Archiven benachteiligt sind.
Digital Benin erhielt Informationen zu über 5.000 Objekten aus 131 Museen in 20 Ländern und digitalisierte etwa 1.200 Katalogkarten aus den nationalen Museen in Benin City, Lagos und Owo, wo die Objektinformationen in einer analogen Datenbank gespeichert sind. Die übertragenen Daten reichen von Bildern und 3D-Scans bis hin zu Informationen über die Herkunft der Objekte, ihren Zustand und die kuratorische Forschung. Zwei Drittel der zur Verfügung gestellten Daten stammen aus den zehn Museen, die die meisten Objekte in ihren Sammlungen besitzen (Abb. 10). Über 12.500 Bilder wurden von den Museen übertragen mit bis zu 500 Bildern für ein einziges Objekt. Die wichtigste technische Überlegung für die Plattform war, den nigerianischen Nutzer*innen den Vorrang zu geben - daher zeigt die entwickelte Plattform vielfältiges digitales Kulturerbe-Material auch in einer handyfreundlichen Form.
Ziel von Digital Benin ist es, Wissen, Traditionen und Geschichte der Objekte mit Fokus auf die Edo-Community zu präsentieren. Dies wird durch auch die Einbringung der Perspektiven von Praktiker*innen und lokalen Spezialist*innen aus Benin City und ganz Nigeria gewährleistet (Abb. 11a-f). Die Online-Plattform bietet verschiedene Einstiege für die Untersuchung der Objekte (Abb. 6a).

• Eyo Oto, ein grundlegender Lernbereich zu Benin-Objekten und ihren Edo-Bezeichnungen. (https://digitalbenin.org/eyo-oto)
• Ein Katalog zur Suche und Filterung institutioneller Daten für über fünftausend Objekte aus 131 Institutionen und zwanzig Ländern. (https://digitalbenin.org/catalogue)
• Eine Liste der 131 Institutionen, die derzeit Benin-Objekte in ihren Sammlungen haben (https://digitalbenin.org/institutions)
• Provenienzangaben für die Untersuchung von Rollen, Biografien und Objektbeziehungen der Provenienznamen, die in den von den Institutionen bereitgestellten Informationen gefunden wurden. (https://digitalbenin.org/provenance)
• Kartenmaterial zur Erkundung historischer und heutiger Stätten des Königreichs Benin und des aktuellen Standorts der verlagerten Objekte in Institutionen weltweit. (https://digitalbenin.org/map)
• Mündliche Erzählungen von Edo-Bewohnern, die Objekte kontextualisieren, Traditionen teilen und über die Geschichte Benins reflektieren. (https://digitalbenin.org/oral-history)
• Itan Edo (Geschichte des Königreichs Benin), in der die sozioökonomische Entwicklung verschiedener historischer Persönlichkeiten aufgezeigt wird. (https://digitalbenin.org/itan-edo)
• Der Medienbereich umfasst 3D-Objekte, pädagogisches Videomaterial und Dokumente zum Ausdrucken. (https://digitalbenin.org/media)
• Weiterhin vereint eine Bibliographie die Veröffentlichungen, Berichte, Verkaufskataloge und mehr, die auf der Plattform zitiert werden. (https://digitalbenin.org/bibliography)

Wir wünschen allen Interessierten an der Kunst des Königreichs Benin ein erkenntnisreiches Eintauchen in Digital Benin!

 

Dr. Martin Hoernes

 

Abbildungen

1 Abb. 1 Logo Digital Benin
2 Gedenkkopf eines Oba, Königreich Benin, Nigeria, Ende 18. Jh., Dauerleihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung, GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, MAf 34554 © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Martin Lutze
3a Reliefplatte: König mit zwei Würdenträgern, Königreich Benin, Nigeria, Gelbguss, 16./17. Jh. © Museum am Rothenbaum MARKK, Hamburg, Foto: Paul Schimweg
3b Holzstuhl mit Reliefschnitzereien, Königreich Benin, Nigeria, Holz 19. Jh. © Museum am Rothenbaum MARKK, Hamburg
3c Gedenkkopf, Königreich Benin; Nigeria, 18.19. Jh., Terrakotta © Museum am Rothenbaum MARKK, Hamburg
4 Ausstellungsplakat „Benin: Geraubte Geschichte“ MARKK Hamburg, 2021
5 Historische Fotografie Olokun Altar in Ikpi. Ikpoba River, Nigeria 1896. Inv. Nr. 28.10:16.. © Museum am Rothenbaum MARKK, Hamburg
6a Key Visual bzw. Startbildschirm von Digital Benin
6b Screenshot des Katalogs von Digital Benin
6c Screenshot von Digital Benin: Suche mit Edo Begriffen
6d Karte von lokalisierten Objekten des Königreichs Benin
10 Screenshot von Digital Benin mit Aufstellung der erfassten Sammlungen
11a Oral History Interview mit Monday Aigbe und Ewaen Aigbe in Benin City 2022, © Osaisonor Godfrey Ekhator Obogie
11b Weibliche Figur, Elfenbein, Metall, 18. Jh. Object No.: 1978.412.302, Metropolitan Museum of Art, New York © Public Domain
11c Leopardenpaar, Metall Inv. No. LG 1952.13.1, LG 1952.13.2 © The National Commission for Museums and Monuments, Nigeria, Foto: Georg Molterer
11d Platte: Portugiese mit fünf Manilas, Metall, 16./17. Jh., Inv. No. 94.799, © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien
11e Gedenkkopf einer Königinmutter (lyoba), Metall, 16. Jh. © Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum, Foto: Jürgen Liepe
11f Armschmuck: Reiter und stehende Figur, Elfenbein Object No.: 1991.17.77, Metropolitan Museum of Art, New York, USA © Public Domain

Die Abbildungen 7 bis 9 werden noch nachgereicht.