Bildnis eines jungen Mannes, um 1480/1485

Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Die Gemäldegalerie Berlin besitzt eine herausragende Sammlung frühneuzeitlicher Bildnisse. Der Norden ist dabei mit altniederländischen Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts wie auch mit deutschen Werken der sogenannten Dürerzeit reich vertreten. Ein Desiderat bliebt jedoch bis heute ein deutsches Bildnis des 15. Jahrhunderts. Diese empfindliche Lücke kann nun mit einer Porträttafel aus der Zeit von Dürers Lehrergeneration geschlossen werden. Der junge Mann erscheint in dem lange schon vertrauten Format des Brustbilds ohne Hände. Er trägt ein Wams mit modischen Zierschnüren am Hals, darüber eine Schecke mit zeittypischem V-Ausschnitt, auf dem Kopf schließlich eine Art Zipfelmütze, die mit einer üppigen Fransenquaste, dem „Schnürlin“, versehen ist. Keinerlei Abzeichen oder Schmuckstück verrät etwas über die Stellung oder den Beruf des Mannes, doch dürfte die eher schlichte Kleidung für den bürgerlichen Stand sprechen. Extravaganzen, wie sie sich etwa der junge Dürer wenig später in seinen Selbstbildnissen leistet, fehlen, doch weist das nicht notwendig auf eine niedere Stellung hin; die Kleidung des Unbekannten entspricht beispielsweise weitgehend der des Nürnberger Ratsmitglieds Levinus Memminger in seinem 1489 datierten Porträt von Michael Wolgemut. Ob ihre zur Gänze grüne Farbe eine Bedeutung hat, lässt sich nicht mehr entscheiden; Dunkelgrün war allerdings eine beliebte Kleiderfarbe des späten 15. Jahrhunderts. Stilistisch wie technisch fügt sich das Bildnis der Nürnberger Tafelmalerei in der Zeit vor Dürer ein. Es entstand ungefähr im selben Zeitraum, in dem Dürers Lehrer Michael Wolgemut als Bildnismaler sehr produktiv war. Im Vergleich erscheint das neu aufgetauchte Bildnis allerdings weniger schematisch als das Gros der Wolgemutschen Porträts. Stattdessen kann es sehr gut mit bestimmten Teilen des 1487 vollendeten Veits- Altars aus der Nürnberger Augustinerkirche (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum) verglichen werden, an dem verschiedene Künstler beteiligt waren. Das Bildnis gleicht dabei speziell dem hl. Lukas des Retabels, der beim Malen der Madonna dargestellt ist. Da das Gesicht des Lukas separat auf Papier gemalt und anschließend auf die Tafel aufgeklebt wurde, handelt es sich ohne Zweifel um das Porträt einer bestimmten Person, der Rolle entsprechend wohl des Malers selbst. Der junge Mann der vorliegenden Einzeltafel gleicht ihm weitgehend im Typus, scheint aber doch nicht mit ihm identisch zu sein. Er könnte daher von demselben Künstler gemalt sein, der auch für seine Porträts auf bestimmte vorgegebene Grundtypen zurückgriff. Der Zustand des Gemäldes, das weder beschnitten noch gedünnt ist, kann als sehr gut bezeichnet werden. Es gibt kaum Beschädigungen oder Verputzungen, wie sie bei mehr als 500 Jahre alten Gemälden die Regel sind.

Dr. Stephan Kemperdick

 

Abbildung:

Unbekannt, Bildnis eines jungen Mannes, um 1480/1485, Öl auf Lindenholz, 29 cm x 21 cm, © Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz