Bernhard Heisig, Fliegen lernen im Hinterhof, 1996

Staatliches Museum Schwerin

Das für die Schweriner Sammlung Neue und Alte Meister erworbene Gemälde von Bernhard Heisig entstammt dem Nachwendekontext und ist 1996 geschaffen worden. Es trägt den Titel Fliegenlernen im Hinterhof und misst 215 x 200 cm, womit es zu den bedeutenden musealen Werken des Künstlers zählt. Das Gemälde reflektiert rückblickend die intellektuelle, künstlerische und politische Enge der vormaligen DDR. Heisig greift dazu auf das für ihn zentrale Ikarus-Thema zurück, das er erstmals 1973 verbildlichte und mit dem Untertitel „Schwierigkeiten beim Suchen der Wahrheit“ versehen hat. Inhaltlich schildert das Gemälde das absurde Unterfangen eines Paares, mittels zweier Regenschirme in die Welt hinauszufliegen. Was zu erwarten war, ist dann auch eingetroffen: der Absturz des Paares, das trotz der offensichtlichen Unmöglichkeit, den Hinterhof zu verlassen, dennoch den Versuch unternommen hat, der Enge zu entkommen. Im Vordergrund sind die Zweifler des Wohnblocks zu sehen, die gehässig das Scheitern kommentieren. Eckhard Gillen beschreibt das Gemälde wie folgt: „Mit den Flugübungen in der hermetischen Abgeschlossenheit eines Hinterhofes rekurriert Bernhard Heisig nicht allein auf die politischen schwierigen Verhältnisse zu Zeiten der DDR, sondern auch auf die Armseligkeit, die ein Leben an einem solchen Ort impliziert.“ Fliegen lernen im Hinterhof spiegelt darüber hinaus auch die Lage des Künstlers Bernhard Heisig, der ein Leben lang unter der politischen Enge und Kleingeistigkeit gelitten hat, mit Joachim Fest zu reden, gleichwohl dennoch das Fliegen lernte. Das vermeintlich utopische Selbstverständnis drückt sich gleichermaßen in dem liegenden weiblichen Akt  aus, der sich über eine der Bildhälften erstreckt und auf die Lust und vielleicht auch Erotik des Versuchens hindeutet – zumindest für einen Moment mittels der Imagination die Schwerkraft zu überwinden.

Das Bild kann aufgrund seiner besonderen Ausstrahlung als eines der herausragenden „Nachwendebilder“ von Bernhard Heisig gelten. Vor diesem Hintergrund erhält es eine herausragende Stellung innerhalb der Schweriner Gemäldesammlung.

Gerhard Graulich

Abbildung: Bernhard Heisig: Fliegen lernen im Hinterhof, 1996, Öl auf Leinwand, 215 cm x 200 cm, signiert und datiert, Staatliches Museum Schwerin, Inv.-Nr.: G 3785.