Baccio Bandinelli, Marmorbüste eines jungen Mannes, um 1537/1540

Skulpturensammlung, Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Das weltweite Renommee der Berliner Skulpturensammlung basiert ganz wesentlich auf ihrem hoch bedeutenden Bestand an italienischen Porträts, der von den Bildnissen der Strozzi-Familie aus dem Quattrocento bis zu den bronzenen Papstbüsten vom Ende des Cinquecento reicht. Dank der um 1540 geschaffenen idealisierenden Marmorbüste eines jungen Mannes des Florentiners Baccio Bandinelli verfügt die Sammlung nun über ein außergewöhnliches neues Hauptwerk. Sie zeigt eine in sich ruhende Gestalt, deren innere Kraft an der Oberfläche zu pulsieren scheint. Mit nachdenklichem Blick ist der makellos gebildete Kopf zur Seite gewendet. Akkurat sind die physiognomischen Details gebildet. Durch die charakteristische Frisur mit einer virtuos gestalteten Lockenpracht und besonders durch den zeitgenössischen Scheitel wird der Dargestellte als eine Person des 16. Jahrhunderts gekennzeichnet. Im Werk von Bandinelli, der Zeit seines Lebens in Konkurrenz zu Michelangelo stand, nimmt die Büste eine Sonderstellung ein. Mit ihr demonstrierte der Bildhauer seine hohe Kunstfertigkeit, mit der er sowohl zeitgenössische Bildhauer als auch die der Antike übertreffen wollte. Ungeachtet seiner gestalterischen Anleihen an antiken Bildwerken schuf Bandinelli in offensichtlicher Auseinandersetzung mit der großen Florentiner Tradition, vor allem Schöpfungen Donatellos und Michelangelos, ein völlig eigenständiges Bildwerk, für das es weder in der Kunst der Antike noch der Neuzeit etwas unmittelbar Vergleichbares gibt. Die durch Michelangelo geprägten Vorstellungen von männlicher Kraft und Schönheit verschmelzen in diesem makellosen Bildwerk zu einem Exemplum der Florentiner ‚Bellezza’. In Anbetracht der idealisierten Züge des Dargestellten muss es vorerst offen bleiben, ob es sich vielleicht um ein Porträt des jungen Cosimo de’ Medici, bei dem sich der Bildhauer bei Hofe empfehlen wollte, oder um ein Idealbildnis handelt. Bandinelli lieferte mit dieser Büste zumindest indirekt auch einen höchst eindrucksvollen Beitrag zum so genannten Paragone, dem im 16. Jahrhundert in Florenz von Malern und Bildhauern heiß diskutierten Wettstreit der Künste.

Volker Krahn