Alexander der Große als Weiser und Held

Museum Fünf Kontinente, München

Der Teppich ist ein Meisterwerk der fantastischen Kunst, in dem der „König von Asien“ im Kontext mit der islamischen Mystik dargestellt wird. Aufgrund der Beliebtheit des spätantiken Alexander-Romans sowie der frühislamischen Volksliteratur über den Alexanderzug wurde der Held vor allem im Osten seines Reiches als rechtmäßiger iranischer Herrscher und mythisch-magische Gestalt aufgefasst. So soll der Heilige Khidr ihn einstmals zum Lebensquell geführt haben. Außerdem besaß Alexander einen magischen, weltenzeigenden Spiegel.

Nach islamisch-iranischer Geschichtsauffassung war Alexander (Iskandar) ein Sucher mystischer Wahrheit und Weisheit. In der oberen Bildhälfte des Teppichs sitzt er zunächst als Jüngling zu Füßen des griechischen Philosophen Lukumayish (Lysimachos). Dieser wird von dem iranischen Dichter Nizami (1141-1209), dem Verfasser des Iskandar-nama, als Vater des Aristoteles angesehen. Lukumayish – hier in Kleidung und Sitzhaltung als islamischer Mystiker gezeigt – soll seinen Sohn Aristoteles in den Dienst des junge Prinzen gestellt und diesen ermahnt haben, irdische Reichtümer zu verachten und stets auf den Rat der Weisen zu hören.

In der Mitte des hochformatigen Teppichs ist Alexander dargestellt. Er reitet auf einem aus verschlungenen menschlichen und tierischen Figuren zusammengesetzten Elefanten und wird als Drachentöter dargestellt. Zwei Derwische verneigen sich respektvoll im Hintergrund. Alexander der Große erscheint in der Bildsprache des Teppichs als Weiser und Heros. Der Drache gilt als Sinnbild der niederen Triebe und ungezähmten, animalischen Natur, die mit Hilf der Sufis bezwungen und beherrscht wird. Der Kompositelefant – ein vor allem im 19. Jahrhundert bekanntes Motiv in der islamischen Miniaturmalereie – steht für die Vielfalt und Wandelbarkeit der Natur. Das Motiv des berittenen Drachentöters erscheint schließlich auch durch die Figur des Rustam inspiriert, dem Helden des iranischen Königsbuchs.

Jürgen Wasim Frembgen

Foto: Nicolai Kästner (Museum fünf Kontinente, München)

Alexander der Große als Weiser und Held,
Serapi / Yazd Iran
Mitte 19. Jahrhundert
Bildteppich, geknüpft, 295 x 163cm
Museum Fünf Kontinente, München